Die Vorsitzenden der Sozialdemokraten (S&D), Grünen und der linken Fraktion GUE/NGL haben sich zum ersten Mal an einen Tisch gesetzt, um über die Möglichkeit einer gemeinsamen Strategie vor den Europawahlen im Mai zu diskutieren. Damit wollen sie dem Aufstieg rechtsextremer und neoliberaler Kräfte entgegenwirken.
Auf einer vom Progressive Caucus organisierten Konferenz betonten Udo Bullmann (S&D), Ska Keller (Grüne) und Gabi Zimmer (GUE/NGL) die Notwendigkeit eines solchen „progressiven Bündnisses“.
Dimitris Papadimoulis, Abgeordneter der griechischen Syriza und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, der sich ebenfalls für eine solche Allianz einsetzt, nannte das Treffen gegenüber EURACTIV.com einen „ersten positiven Schritt“.
„Die Initiative des Progressive Caucus […] wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie als erster Anstoß für einen Prozess der intensiven schrittweisen Annäherung der drei Fraktionen um gemeinsame Ziele herum betrachtet wird,“ so der linke Europaabgeordnete.
Es gehe nicht nur darum, Rechtsextreme und das „neoliberale Dogma“ zu bekämpfen, sondern auch konkrete progressive Ziele im Rahmen der europäischen Integration zu erreichen, sagte Papadimoulis weiter.
Papadimoulis hat zusammen mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras eine Reihe von Initiativen gestartet, um Brücken zwischen den gespaltenen linken Kräften Europas zu bauen und vor den EU-Wahlen ein möglichst breites Bündnis zu bilden.
Gegen kapitalistische Auswüchse
Mit sich ähnelnder Rhetorik betonten alle drei Fraktionschefs die Notwendigkeit einer Änderung des derzeitigen EU-Modells. Dies sei die einzige Möglichkeit, einen weiteren Rechtsdrall nach den EU-Wahlen zu stoppen.
„Ich hatte lange auf dieses Ereignis, dieses Treffen gehofft, damit die Progressiven ihre Ansichten austauschen können. Wir wollen sehen, worüber wir uns einig sind, und hoffentlich auch eine Strategie entwickeln, die im nächsten Mandat umgesetzt werden muss,“ sagte S&D-Fraktionschef Bullmann.
Er erwarte einen „großen Kampf“ im zukünftigen Europaparlament.
Bullmann nannte Klimawandel, Migration, Globalisierung und aggressiven Kapitalismus als große Herausforderungen. Diese Herausforderungen, erklärte er weiter, wecken Ängste bei den Menschen – die dann Gefahr laufen, von der extremen Rechten beeinflusst zu werden.
„Wir müssen die Kontrolle über die Entwicklung unserer Gesellschaften zurückerobern. Und das erfordert eine europäische Antwort,“ so der deutsche Politiker.
Europa brauche einen radikalen Wandel, fügte er hinzu. Er wünsche sich „ein Europa nicht für die Märkte, sondern für die Bedürfnisse der Bürger in Europa.“ Die „wahnsinnige Entwicklung der kapitalistischen Strukturen“ müsse eingedämmt werden.
Bullmann betonte auch die Notwendigkeit eines „ökologischen Übergangs des Kapitalismus“. Dies könne aber nur dann gut gelingen, wenn gleichzeitig die wirtschaftlichen Ungleichheiten reduziert werden.
„Das ist der große Fehler, den Macron aktuell macht: Er versucht, Umweltpolitik für die Glücklichen zu gestalten – und nicht für die Vielen,“ so Bullmann.
Ska Keller, eine der beiden grünen Spitzenkandidaten für die Europawahlen, stellte ebenfalls fest, dass eine klare, progressive Pro-EU-Haltung „dringend erforderlich“ sei. Damit diese Haltung auch in konkrete Handlungen umgesetzt werden könne, seien neben dem EU-Parlament aber auch Mehrheiten auf der Ebene der Mitgliedstaaten entscheidend.
„Wir müssen unsere Agenda mit konkreten Vorschlägen durchsetzen, anstatt der rechten Rhetorik hinterherzulaufen. Und wir brauchen einen fortschrittlichen Europäischen Rat,“ so Keller.
Zimmer: Echter Sozialismus
Die Linken-Fraktionsvorsitzende Zimmer, die kürzlich betont hatte, die Sozialdemokraten seien nicht der „Feind“ linker Parteien, verwies in ihrer Rede auf das Manifest von Ventotene, eine föderalistische Erklärung, die von Altiero Spinelli und Ernesto Rossi verfasst wurde, als sie während des Zweiten Weltkriegs auf der italienischen Insel Ventotene gefangen gehalten wurden.
„Wir brauchen ein neues Europa mit echtem sozialistischem Charakter. Ein solches könnte das, was wir unter sozialen Rechten, ökologischen Standards und Demokratie verstehen, zusammenführen,“ betonte Zimmer.
Die Fraktionschefin sagte weiter, das angedachte progressive Bündnis sollte sich nicht auf politische Parteien beschränken, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen einbeziehen. Andernfalls drohe der Kampf gegen den Extremismus verloren zu gehen.
Kein gemeinsamer Kandidat für die Wahl
EURACTIV geht davon aus, dass die Idee eines gemeinsamen Kandidaten der drei Parteien für die EU-Wahl nicht auf dem Tisch liegt – unter anderem, weil die Grünen bereits zwei Spitzenkandidaten, Ska Keller und Bas Eickhout, gekürt haben, während die S&D sich aller Wahrscheinlichkeit nach für den niederländischen Kommissar Frans Timmermans entscheiden wird.
Es ist jedoch denkbar, dass die drei Fraktionen verstärkt kooperieren, um nach den EU-Wahlen einen gemeinsamen Kandidaten für die Position des Kommissionspräsidenten aufzustellen.