Nach nur einem Jahr in der Regierung hat sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden italienischen Regierungsparteien umgekehrt: Die Lega verdoppelte ihr Wahlergebnis von 17,35 Prozent bei nationalen Wahlen im vergangenen Jahr auf jetzt 33,6 Prozent, während die Fünf-Sterne-Bewegung von 32,68 auf 16,70 Prozent abrutschte.
„Die Menschen haben uns die Mission gegeben, das Recht auf Arbeit und Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt der europäischen Debatte zu stellen,“ erklärte der Vorsitzende der Lega, Matteo Salvini, gegen 1:00 Uhr Nachts gegenüber der Presse. Dies war die erste Stellungnahme eines italienischen Politikers nach der Veröffentlichung der Ergebnisse.
Den direkten Kampf gegen die Fünf-Sterne-Bewegung konnte der rechtsextreme Innenminister als unbestreitbarer Gewinner hinter sich lassen: Die Wählerinnen und Wähler belohnten seine kompromisslose Wirtschafts- und Migrationspolitik.
Zum ersten Mal überhaupt wurde die Lega die führende Partei in Italien. Die Wahlergebnisse bekräftigten damit den landesweiten Aufstieg dieser ehemals regionalen Partei, die ihre Wurzeln im separatistischen Norden des Landes hat. Bei den letzten EU-Wahlen 2014 erreichte die Lega nur 6,15 Prozent der Stimmen.
Mit voraussichtlich 28 oder 29 Sitzen im Parlament könnten die italienischen Rechtsextremen zusammen mit der deutschen CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britischen Brexit-Partei von Nigel Farage die größte nationale Parteidelegation im neuen Europäischen Parlament werden.
Nach einem so klaren Wahlsieg beanspruchte Lega sofort das Recht für sich, den nächsten italienischen EU-Kommissar in Brüssel zu ernennen. „Sicherlich werden wir nach einem „wirtschaftlichen“ Portfolio suchen – also Landwirtschaft, Wettbewerb oder Energie“, erklärte Salvini in einer späten Fernsehsendung.
Der Lega-Führer versprach auch, seine Regierungskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung nicht aufzulösen oder die italienische Regierung nach der Wahl neu zu organisieren.
„Auf nationaler Ebene wird sich nichts ändern. Mein Wort ist mehr wert als einige Stimmen“, so Salvini. Sein Feind sei die sozialdemokratisch Partito Democratico, nicht die Fünf-Sterne-Bewegung, fügte er hinzu.
Nüchtern betrachtet ist jedoch nicht sicher, ob die Europawahlen wirklich keinen Einfluss auf die Stabilität der italienischen Regierung haben werden.
PD auf der Überholspur
In der wohl dunkelsten Wahlnacht ihrer Geschichte wurde die Fünf-Sterne-Bewegung von der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) überholt, die mit 23,5 Prozent vor der Anti-Establishment Partei aus der Wahl hervorging.
Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung wichen nach der Wahl Fragen der Presse aus, wobei Parteichef Luigi Di Maio nur eine kurze Stellungnahme für die Medien veröffentlichte. „Wir wurden durch die geringe Beteiligung in Süditalien bestraft. Jetzt heißt es: Kopf hoch und weitermachen.“
Die PD feierte ihrerseits eine gute Wahlleistung, die ihr erschreckendes Ergebnis bei den italienischen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr teilweise wieder gut machte.
Parteichef Nicola Zingaretti begrüßte die ersten Hochrechnungen und erklärte: „Die Abstimmung gibt uns eine neue politische Herausforderung, eine Alternative zu Matteo Salvini zu schaffen, die sich als wahrer Regierungschef erweist“.
Die Demokratische Partei wandelt sich somit zur zweitgrößten italienischen Partei im Europäischen Parlament und bringt der Sozialdemokratischen Fraktion der Versammlung voraussichtlich 18 Sitze ein – nur einen Sitz weniger als die erfolgreiche spanische Delegation.
Eine neue Mitte-Rechts-Koalition?
Silvio Berlusconis Forza Italia war ein weiterer Gewinner – allerdings nur in ihrem Kampf gegen die rechtsextremen Fratelli d’Italia, die sich kürzlich der konservativen ECR-Fraktion im Europäischen Parlament angeschlossen haben.
Der Abstand zwischen den beiden ehemaligen Lega-Partnern beträgt etwa zwei Prozentpunkte, wobei Fratelli d’Italia die zweitbeste Wachstumsrate nach Lega im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2018 verzeichnete. Die mit der EVP verbandelte Forza Italia befindet sich dagegen im freien Fall.
Beide Parteien haben erneut gefordert, das Mitte-Rechts-Bündnis mit der Lega als Alternative zur derzeitigen Koalition zwischen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung wiederzubeleben.
In den übrigen Ergebnissen hat die Partei Liberal+Europa die Vier-Prozent-Hürde nicht überschritten, so dass die italienischen Liberalen keine Repräsentation im Europäischen Parlament haben werden.
Die Wahlbeteiligung in Italien war im Vergleich zu den letzten EU-Wahlen leicht rückläufig und lag bei 56,1 Prozent, was einem Rückgang von 2,6 Punkten gegenüber 2014 entspricht.
[Bearbeitet von Frédéric Simon]