Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Rassemblement National, ist im Rahmen einer „Europa-Tour“ heute in Estland zu Gast, wo sie die Werbetrommel für die lokalen Rechtsextremen für die bevorstehenden EU-Wahlen rühren soll.
Allerdings könnte Le Pens pro-russische Haltung ihren populistischen Gastgebern, der Konservativen Volkspartei Estlands (EKRE), mehr schaden als nützen, glaubt Taavi Rõivas, ehemaliger estnischer Ministerpräsident und eine führende Figur der liberalen Reformpartei.
Le Pen sei „ein lebendiges Beispiel dafür, dass der europäische Rechtspopulismus auch eine starke Pro-Kreml-Bewegung ist,“ betonte Rõivas in einer Erklärung und sagte voraus, der Besuch der Französin werde der EKRE wohl schaden.
Tatsächlich gibt es wesentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Le Pen und ihren EKRE-Gastgebern in Bezug auf die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Die EKRE kritisierte den Schritt heftig, während Presseberichte zumindest vermuten lassen, dass Le Pen an die Rechtmäßigkeit der Aktion glaubt.
„Das estnische Volk billigt in keiner Weise die Haltung von Le Pen, die unter anderem die Annexion der Krim lobt und die Aufnahme Russlands in die NATO fordert,“ so Rõivas. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch viele EKRE-Wähler die Ansichten von Le Pen nicht gutheißen.“
Le Pens Europa-Tour
Le Pens Trip in die estnische Hauptstadt Tallinn war von der rechtsextremen Allianz Movement for a Europe of Nations and Freedom (MENF) organisiert worden, die auch in der ENF-Fraktion im Europäischen Parlament vertreten ist. Zu deren Mitgliedern gehören unter anderem die italienische Lega und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ).
Nachdem sie Prag, Sofia und Bratislava im Rahmen ihrer Europa-Tour besucht hat, wird Tallinn am heutigen Dienstag wohl die letzte Station für Le Pen sein, bevor sie daheim in Frankreich in die heiße Phase des Europawahlkampfes einsteigt.
Rassisten gegen Rassisten
Nach den estnischen Parlamentswahlen im März ist die rechtsextreme EKRE-Partei nun Teil einer regierenden Dreiparteienkoalition im Parlament des Landes, dem Riigikogu, in dem sie 19 von 101 Sitzen belegt.
Die Partei ist jedoch wegen ihrer harten Anti-Immigrationshaltung sowie einer Reihe von rassistischen Bemerkungen gegenüber farbigen Menschen, insbesondere von EKRE-Parteichef Mart Helme, in die Kritik geraten. Auch dessen Sohn Martin Helme, inzwischen Finanzminister, hatte zuvor verkündet, sein Ziel sei es, dass Estland „ein weißes Land“ wird.
Mart Helme distanzierte sich kürzlich allerdings von Le Pen und erklärte, die Französin habe sich „im Wesentlichen selbst nach Estland eingeladen“.
In Mittel- und Osteuropa sind Beziehungen zu Russland problematisch
Le Pens Auftritt am heutigen Dienstag in Tallinn folgt auf einen Besuch in der Slowakei, bei dem sie gemeinsam mit dem slowakischen MENF-Mitglied, der Partei Sme Rodina, eine Bühne teilte.
Ihr Auftritt löste Proteste unter slowakischen Proeuropäern aus, die ihren Widerstand gegen die Ansichten Le Pens zum Ausdruck brachten.
Wie kontrovers die Beziehungen zu Russland in Mittel- und Osteuropa nach wie vor debattiert werden, musste die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid nach einem kürzlichen Besuch in Moskau erfahren, bei dem sie neben einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin auch die neue estnische Botschaft offiziell einweihte. Für das Treffen – die erste offizielle Zusammenkunft der russischen und estnischen Staatsoberhäupter seit dem Ende der sowjetischen Besatzung im Jahr 1991 – musste Kaljulaid daheim heftige Kritik einstecken.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]