Es ist der bisher größte Triumph von Marine Le Pen, und er ist der Rechtspopulistin nach der Europawahl vom Gesicht abzulesen. Von einem „Sieg für das Volk“ spricht die 50-Jährige am Sonntagabend vor jubelnden Anhängern.
Ihre Partei hat Präsident Emmanuel Macron gleich doppelt gedemütigt: Die Europaskeptikerin hat den Pro-Europäer mit rund 24 zu 22 Prozent geschlagen. Zudem ist Le Pen eine Revanche für die Präsidentschaftswahl gelungen, bei der sie Macron noch deutlich unterlag. Nun peilt sie eine neue Allianz mit der Lega, der AfD und anderen Rechtsparteien im Europaparlament an.
Zu einem „Referendum gegen Macron“ hatte die Rechtspopulistin Le Pen die Wahl ausgerufen. Die stark gestiegene Beteiligung deutet darauf hin, dass viele Franzosen zu den Urnen gingen, um dem ungeliebten Präsidenten einen Denkzettel zu verpassen – vermutlich auch „Gelbwesten“-Anhänger, die seit mehr als sechs Monaten gegen den Präsidenten mobil machen.
„Prenez le pouvoir“ („Ergreift die Macht“) – so heißt das mehrdeutige Motto, unter dem Le Pen zum Angriff auf Macron geblasen hatte. Wie schon bei der Europawahl 2014 wurde ihre Partei Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung, die frühere Front National) stärkste Kraft in Frankreich.
Auf eine Spitzenkandidatur hatte Parteichefin Le Pen bewusst verzichtet und den erst 23-jährigen Jordan Bardella ins Rennen geschickt, der sich als schlagfertiger Schnellredner erwies. Sie wird nun von der Pariser Nationalversammlung aus die Strippen ziehen, er vom Europaparlament aus.
Le Pen und Bardella wollen mit der AfD und anderen Rechtspopulisten, Europafeinden und Nationalisten eine „mächtige Gruppe“ in der europäischen Volksvertretung schmieden. Die Allianz mit dem Namen „Europa des gesunden Menschenverstandes“ (Europe of common sense) hat dem „Europa der Eliten“ den Kampf angesagt. Dazu zählen sie nicht nur den früheren Investmentbanker Macron, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere Spitzenpolitiker.
Frankreichs Rechtspopulisten wollen die mächtige EU-Kommission abschaffen, ein „Europa der Vaterländer“ bilden und aus dem Schengen-Raum austreten. Der Forderung nach einem „Frexit“ haben sie sich bisher nicht angeschlossen. Auch einen Austritt aus dem Euro befürworten sie nicht. Für beides gibt es in Frankreich nach Umfragen keine Mehrheit.
Selbst ein Skandal um die Scheinbeschäftigung von Parteimitarbeitern im Europaparlament hat der selbsterklärten Sauberfrau Le Pen nicht geschadet: Nach Angaben der Volksvertretung hinterzogen sie und ihre Partei insgesamt sieben Millionen Euro an öffentlichen Geldern. Le Pen selbst muss 300.000 Euro zurückzahlen, wie das Gericht der Europäischen Union erst am Donnerstag bestätigte.
Auch die FPÖ-Affäre in Österreich konnte den französischen Rechtspopulisten nichts anhaben. Deutlich mehr Aufmerksamkeit bekam ein Auftritt des Ultrarechten Steve Bannon in Paris. Der frühere Strategiechef von US-Präsident Donald Trump lobte Le Pens Arbeit als „bemerkenswert“.
Womöglich hat auch der Angriff mit einer Paketbombe in Lyon vom Freitag der Rechtspopulisten genutzt: Sie werfen Macron eine zu lasche Sicherheitspolitik vor und fordern unter anderem die präventive Inhaftierung sogenannter Gefährder.
Macron ist nun innenpolitisch massiv geschwächt, eine Kabinettsumbildung gilt als wahrscheinlich. Auf europäischer Ebene aber könnte der französische Präsident trotz seiner Niederlage unumgänglich sein: Denn auch die „große Koalition“ aus Europäischer Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten hat Federn gelassen. So könnte der 41-Jährige trotz seiner Niederlage den „Königsmacher“ im Europaparlament spielen.