Die Europäische Volkspartei (EVP) will keine weiteren Spannungen mit ihrem „bösen Buben“, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, aufkommen lassen. Dies könne ihn schließlich dazu veranlassen, sich dem italienischen Populisten Matteo Salvini oder der rechtsextremen Marine Le Pen anzuschließen, so ein CDU-Politiker gegenüber EURACTIV Deutschland in Berlin.
Die Problematik um Orbán und seine Partei Fidesz verschärfte sich kürzlich erneut, nachdem in Ungarn eine Wahlkampagne gestartet wurde, in der unter anderem der Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker beschimpft wird. Dieser forderte daraufhin, Orbán solle die konservative EVP verlassen.
EURACTIV hat eine Reihe von EVP-Mitgliedsparteien in ganz Europa kontaktiert, um festzustellen, ob sie Junckers Ansichten teilen. Die meisten von ihnen gaben allerdings an, sie wollten die Thematik weniger radikal angehen.
Der Berliner CDU-Abgeordnete, der anonym bleiben wollte, erklärte, die Aussicht auf einen möglichen Ausschluss von Viktor Orbán aus der EVP habe in der CDU-Bundestagsfraktion zu „heftigen Diskussionen“ geführt, wobei er und andere Abgeordnete ihre Besorgnis darüber äußerten, dass Orbán im Falle eines Ausschlusses künftig auch Allianzen mit Matteo Salvini und der Französin Marine Le Pen eingehen könne.
„Wenn wir ihn ausschließen, dann treiben wir ihn in die Arme von Salvini,“ so der CDU-Abgeordnete.
Kritik an Wahlkampagne
Kritische Stimmen gegen Orbán innerhalb der EVP hatten in letzter Zeit vor allem zugenommen, nachdem die ungarische Regierung eine neue Plakatkampagne enthüllte, in der Juncker und der US-amerikanische Investor George Soros beschuldigt werden, Ungarn mit Migranten „überfluten“ zu wollen.
„Ich möchte Herrn Orbán daran erinnern, dass die Entscheidungen in Brüssel, auch in Bezug auf die Migration, gemeinsam von den EU-Regierungen und dem Europäischen Parlament getroffen werden, zu denen auch ungarische Vertreter gehören. Anstatt Brüssel als Phantomgegner zu betrachten, muss Ungarn erkennen, dass es ein Teil davon ist,“ tweete der EVP-Vorsitzende Joseph Daul.
Der Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber (CSU), hatte vormals hingegen betont, er wolle als „Brücke“ zu den lauter werdenden Bekundungen vom rechten Flügel der EVP fungieren.
Für den tschechischen EVP-Abgeordneten Tomáš Zdechovský sind die Anfeindungen gegen Juncker „typisches“ Orbán-Verhalten: „Er ist Teil der EVP, aber er hat Juncker und seine Politik nie unterstützt.“
„Wenn er nach den EU-Wahlen so weitermacht, müssen wir von einigen EVP-Parteien Reaktionen erwarten,“ fügte er hinzu.
Die polnische Abgeordnete Róża Thun sagte: „Es gibt viele Stimmen unter den EVP-Mitgliedern, die sagen: Wenn die Fidesz ihr Verhalten nicht ändert und weiterhin die Demokratie in Ungarn zerstört, dann sollte sie ausgeschlossen werden.“
Thun machte deutlich: „Ich selbst werde mein Bestes tun, damit Fidesz die EVP verlässt.“
Unsicherheit vor der EU-Wahl
Eine EVP-Quelle mutmaßte gegenüber EURACTIV.com jedoch, wenn die Partei bei den nächsten EU-Wahlen viele Stimmen verliere, dann werde „niemand an Orbán rühren“.
Öffentlich hat sich die Österreichische Volkspartei diese Woche gegen Orbán ausgesprochen. Die Partei forderte, die EVP-Mitgliedschaft der Fidesz solle eingefroren werden.
Somit habe die EVP „endlich auf Orbán reagiert“ meinte der österreichische Abgeordnete Othmar Karas. Er bedauerte auch, dass die EU-Mitgliedstaaten das Strafverfahren gegen die ungarische Regierung gemäß Artikel 7 nicht fortgesetzt haben, wie vom Europäischen Parlament gefordert.
Kyriakos Mitsotakis, der Vorsitzende der konservativen Nea Demokratia in Griechenland, hatte ebenfalls erklärt, die EVP dürfe bei Fragen bezüglich ihrer demokratischen Grundwerte und -prinzipien keine Kompromisse eingehen.
Die Partei teilte EURACTIV.com per E-Mail mit: „Die Haltung der Nea Demokratia zu Herrn Orbán ist klar: Herr Mitsotakis war in Bezug auf [Orbáns] Ansichten zum Thema Migration sowohl im Rahmen der EVP [-Treffen] als auch anderer internationaler Foren wiederholt anderer Meinung und ist deswegen mit ihm aneinandergeraten. [Mitsotakis] hat die Notwendigkeit einer EU-Lösung in dieser Frage hervorgehoben.“
Ob diese Haltung bedeute, dass man Orbán aus der EVP werfen will, teilte die Nea Demokratia hingegen nicht eindeutig mit.
Laut EURACTIV Kroatien sagte Premierminister Andrej Plenković von der konservativen HDZ, Orbán habe mit seinen Attacken auf Juncker einen Fehler begangen. Auch er forderte jedoch nicht ausdrücklich, die Fidesz aus der Europäischen Volkspartei auszuschließen.
Aus Sicht von EURACTIV Kroatien will Plenković Orbán einerseits kritisieren, andererseits aber nicht zu heftig gegen ihn vorgehen, da die ungarische Ölgesellschaft MOL gemeinsam mit der Zagreber Regierung Miteigentümer der kroatischen Ölgesellschaft INA ist, und die beiden aktuell in einen Rechtsstreit verwickelt sind.
Beschwichtigung aus Frankreich und Italien
Ein Vertreter der französischen Republikaner zeigte sich hingegen bemüht, die Gerüchte über Spaltungen innerhalb der EVP herunterzuspielen: Das gemäßigt-rechte Lager habe viele Facetten.
Aus französischer Sicht sei die Angst, dass ein Ausschluss Orbáns ihn näher an Le Pen und Salvini heranführen würde, unbegründet: „Orbán und Salvini haben bei den meisten Themen völlig unterschiedliche Ansichten.“
Ebenso betonte ein Politiker einer italienischen EVP-Mitgliedspartei, keine der Parteien in der italienischen Delegtaion, sei Orbán offen feindlich gesinnt.
Ein möglicher Rauswurf der Fidesz sei „etwas, das nie offiziell auf der Tagesordnung der EVP stand; ich weiß also nicht, wovon wir hier überhaupt reden,“ so der italienische Politiker. Er fügte hinzu, die Partei Orbáns sei nicht nur Mitglied der EVP, sondern auch der Centrist Democrat International (CDI) ist, die den Grundwerten der konservativen Politik ebenfalls eng verbunden ist.
Abschließend stellte er fest, dass insbesondere die luxemburgische konservative Partei (CSV) immer entschlossener geworden sei, Fidesz aus der EVP zu werfen. Er mutmaßte, Juncker habe mit seinen Aussagen womöglich nur der eigenen Partei daheim zustimmen wollen.
[Bearbeitet von Sarantis Michalopoulos, Zoran Radosavljević und Samuel Stolton]