Keine EU-Institution kann die Rolle der Nationalstaaten ersetzen, so der Europaabgeordnete Jan Zahradil. Er stellte am gestrigen Mittwoch eine „große Überprüfung“ der Machtverhältnisse innerhalb der EU in den Mittelpunkt des Wahlprogramms seiner Partei, der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR).
Zahradil, ein Protegé des ehemaligen tschechischen Premierministers und Präsidenten Vaclav Klaus, wurde am Mittwoch offiziell als EKR-Spitzenkandidat für die Europawahlen im Mai kommenden Jahres vorgestellt.
„Wir sind proeuropäisch, aber anti-föderalistisch. Wir glauben, dass die EU dezentralisiert werden sollte,“ machte Zahradil bei der Eröffnung der Wahlkampagne in einer Bar am Brüsseler Place Luxembourg – nur einen Steinwurf vom Europäischen Parlament entfernt – seine Position deutlich.
Nachdem Zahradil zuvor den Kampf um den EVP-Spitzenkandidatenposten zwischen Manfred Weber und Alexander Stubb als Wahl zwischen „Coke Zero und Coke Light“ verspottet hatte, sagte er gegenüber Reportern gestern, dieselbe Analogie gelte auch für Weber und den sozialdemokratischen Kandidaten Frans Timmermans.
Zahradil, der seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments ist, tritt somit in den Spitzenkandidaten-Wettstreit mit Weber von der konservativen EVP und Timmermanns für die Sozialdemokraten. Das aktuelle Feld komplettieren Ska Keller und Bas Eikhout als Doppelspitze für die Grünen. Die liberale ALDE und die linke GUE/NGL müssen sich noch für ihre Spitzenkandidaten entscheiden.
Die euroskeptische EKR war die einzige große paneuropäische Partei, die bei den Europawahlen 2014 keinen Spitzenkandidaten gestellt hatte. Zahradil hatte gegenüber EURACTIV Tschechien allerdings bereits im September angekündigt, er werde den Posten dieses Mal übernehmen. Dabei machte er klar, dass er als Spitzenkandidat der EKR für das EU-Parlament und nicht für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission kandidieren wolle.
EKR verliert durch Brexit ein Viertel ihrer Abgeordneten
Die EKR ist mit 73 Sitzen derzeit die drittgrößte Fraktion im Europäischen Parlament. Doch der Brexit dürfte schwerwiegende Folgen für die Gruppe haben. Rund ein Viertel ihrer Abgeordneten (18 Sitze) sind Briten, die somit ab Anfang April nicht mehr im Europäischen Parlament vertreten sein werden.
Zahradil zeigte sich gestern dennoch kämpferisch und versicherte, die EKR werde den Verlust ihrer größten nationalen Delegation überstehen. Er prognostizierte auch, dass vermutlich jede der einzelnen Mitgliedsparteien der EKR-Gruppe im kommenden Mai besser abschneiden werde als bei früheren Wahlen.
„Wir werden die (britische) Lücke aus eigener Kraft schließen,“ kündigte der Spitzenkandidat an. Er fügte auch hinzu, dass die erwarteten Verluste für die EVP und S&D ohnehin zu einer „großen Umbildung“ im Parlament führen dürften.
Es werde im kommenden Parlament „viel Frei- und Spielraum geben, und wir würden gerne davon profitieren,“ sagte der tschechische MEP.
Mehr Nationalstaat, mehr Freihandel, weniger Euro
Im Mittelpunkt des EKR-Wahlprogramms steht die Forderung nach einer „großen Überprüfung“ der Machtverhältnisse innerhalb der EU. Beispielsweise sollen die Befugnisse des Europäischen Auswärtigen Dienstes sowie die Finanzierung der EU-Agenturen „gründlich“ überarbeitet werden.
Außerdem wird vorgeschlagen, dass die nationalen Parlamente mehr Kontrolle über die EU-Gesetzgebung erhalten sollen. Dazu gehören ein „Rote-Karte“-Verfahren, bei dem ein Drittel der nationalen Parlamente in der Lage wäre, jegliche neue EU-Gesetze zu blockieren, sowie eine Überprüfungsklausel, die es den Parlamenten ermöglicht, die Aufhebung von EU-Gesetzen vorzuschlagen.
Die EKR will darüber hinaus auch die EU-Verträge ändern, um eine „Union mit mehreren Währungen“ zu ermöglichen. Den Ländern soll damit das Recht eingeräumt werden, dem Euroraum nicht beizutreten oder ihn wieder zu verlassen.
Außerdem soll ein einziger Standort für das EU-Parlament festgelegt werden. Aktuell wechselt die Institution zwischen Brüssel und Straßburg hin und her.
In zumindest einem Punkt wünscht sich die EKR jedoch mehr EU: Die Union müsse mehr tun, um bei der Förderung des Freihandels ein „Vorreiter“ zu sein. Die nächste Europäische Kommission solle daher „mindestens zehn“ Freihandelsabkommen mit Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika abschließen, forderte Zahradil.