EU-Abgeordnete haben genug vom Brexit-Schlamassel

Sollte Großbritannien bei der anstehenden Europawahl teilnehmen, würden britische Abgeordnete wie Nigel Farage voraussichtlich nur für wenige Monate ins Brüsseler Parlament einziehen - um es Ende Oktober wieder zu verlassen. [Andy Rain/ epa]

Sollte Großbritannien an der EU-Wahl teilnehmen, würden die britischen Abgeordnete nur für kurze Zeit ins Straßburger Parlament einziehen, um es nach wenigen Monaten beim voraussichtlichen Brexit wieder zu verlassen. Das sorgt für Ärgernisse und Hoffnung unter den anderen Abgeordneten.

Nigel Farage gibt sich siegesgewiss. „Ich komme wieder“, verkündete der Wortführer der Brexit-Kampagne am Dienstag triumphierend im Europaparlament. Tatsächlich stehen die Chancen gut für den Spitzenkandidaten der europafeindlichen Brexit-Party, im Juli wieder ins Europaparlament einzuziehen – das er eigentlich abschaffen will.

Denn nachdem die Staats- und Regierungschefs die Frist für den britischen Austritt auf den 31. Oktober verschoben haben, wird eine Teilnahme der Briten an der Europawahl im Mai immer wahrscheinlicher. Damit würden in der EU-Volksvertretung weiterhin 73 britische Abgeordnete mitmischen. Sie könnten an wichtigen Entscheidungen teilnehmen, etwa an der im September geplanten Wahl des künftigen EU-Kommissionspräsidenten. Und sie könnten das Parlament möglicherweise nach einigen Monaten wieder zu verlassen, falls sich
Großbritannien tatsächlich zu einem Austritt aus der EU durchringt.

In der EU-Volksvertretung sorgt diese Perspektive für reichlich Frust. Bei einer mehrstündigen Debatte machten am Dienstag viele Abgeordnete ihrem Ärger Luft. Nun werde die Ungewissheit um weitere sechs Monate verlängert, kritisiert der Chef der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt. Der „Brexit-Schlamassel wird in die EU importiert und er wird die Europawahl
vergiften“. Zudem drohe das Parlament ein „Taubenschlag“ zu werden. „Briten fliegen rein und dann wieder raus.“

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Mit dem neuen Aufschub habe der Rat der EU-Staaten „den demokratischen Vorgang der Wahl“ und letztlich auch das Europaparlament aufs Spiel gesetzt, kritisierte die Vorsitzende der Linksfraktion, Gabriele Zimmer. „Wie sollen wir Ausschüsse und Fraktionen bilden, wenn Briten kommen und wieder gehen?“ Im Namen der christdemokratischen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) forderte der spanische Christdemokrat Esteban Gonzales Pons ein neues
Referendum in Großbritannien. Wenn die Politiker nicht in der Lage seien, eine Lösung zu finden, müsse eben das Volk erneut befragt werden.

Auf positives Echo stößt der Aufschub hingegen bei der sozialdemokratischen Fraktion. Dank der Fristverlängerung sei ein „Absturz“ vermieden worden, betonte ihr Vorsitzender Udo Bullmann (SPD). Sollte Großbritannien an der Europawahl teilnehmen, seien die britischen Abgeordneten „natürlich willkommen“.

Verstärkung für Sozialdemokraten

Tatsächlich haben die Sozialdemokraten allen Grund, auf eine Teilnahme Großbritanniens an der Wahl zu hoffen. Denn nach jüngsten Umfragen könnte ihre Fraktion von derzeit 187 auf rund 140 Mitglieder schrumpfen – wenn Großbritannien an der Wahl nicht teilnimmt. Sollten die Briten aber am 23. Mai zu den Urnen gerufen werden, könnte die sozialdemokratische Fraktion auf Zuwachs durch Labour-Abgeordnete rechnen.

Der Abstand der Sozialdemokraten zur EVP-Fraktion, der Meinungsforscher derzeit 173 Sitze im neuen Parlament voraussagen, würde damit deutlich geringer. Dies wiederum könnte die Chancen des EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) verringern, vom Parlament an die Spitze der EU-Kommission gewählt zu werden.

„Das wird schwieriger“, glaubt der CDU-Europaabgeordnete und Außenpolitik-Experte Elmar Brok. Das eigentliche Problem sei aber, dass zwei EU-feindliche Parteien in Großbritannien – die Ukip und die Brexit-Party – zusammen 30 Prozent der Stimmen einfahren könnten. „Der antieuropäische Teil des Europaparlaments würde damit dramatisch erhöht.“

Schon jetzt gibt es im Europaparlament rund 150 euroskeptische oder europafeindliche Parlamentarier, die oft nur aus Prinzip gegen Richtlinien stimmen – weil sie eine Gesetzgebung durch die EU ablehnen. Dieser Anteil könnte sich noch erhöhen, wenn die Briten an der Wahl teilnehmen. „Damit droht dem Parlament eine Lähmung“, warnt der SPD-Abgeordnete Jo Leinen.

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