Es droht ein Rückschritt für die europäische Demokratie

Das Spitzenkandidaten-Modell wurde erstmals bei der Europawahl 2014 erprobt. Demnach soll der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im Europapalament zum Kommissionspräsidenten werden. Emmanuel Macron würde das am liebsten wieder ad acta legen. [EPA-EFE/SASCHA STEINBACH]

Der französische Präsident Emmanuel Macron will den Juncker-Nachfolger von den Regierungschefs bestimmen lassen. Das wäre ein schwerer Fehler. Ein Kommentar von EURACTIVs Medienpartner Der Tagesspiegel.

Während in Großbritannien ein Mann oder eine Frau für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May gesucht wird, ist in Brüssel das Ringen um die passende Besetzung im Chefbüro im 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes losgegangen. Dort, ganz oben in der EU-Kommission, führt bislang der Luxemburger Jean-Claude Juncker als Chef die Amtsgeschäfte.

Als die Staats- und Regierungschefs am Dienstag in Brüssel berieten, wer Juncker nachfolgen könnte, kam ein Wort immer wieder vor, das Wort „Spitzenkandidat“. Die Deutschen Manfred Weber und Ska Keller und der Niederländer Frans Timmermans waren Spitzenkandidaten bei den Europawahlen, die Dänin Margrethe Vestager nicht. Das ist von Bedeutung, weil etliche Staats- und Regierungschefs – allen voran der französische Präsident Emmanuel Macron – dabei sind, das Spitzenkandidaten-Prinzip sang- und klanglos wieder ad acta zu legen. Allerdings wäre es fatal, wenn sich Macron damit durchsetzen würde.

Das Spitzenkandidaten-Modell, das bei der Europawahl 2014 erstmals erprobt wurde, sieht vor, dass der Gewinner der Europawahl anschließend Kommissionspräsident wird. Damit wird der sinnvolle Versuch unternommen, die Besetzung des Chefsessels im Berlaymont-Gebäude mit der europäischen Demokratie rückzukoppeln. Sollten die Staats- und Regierungschefs auf Drängen Macrons nun wieder zu ihrer alten Praxis zurückkehren und den Chef der Kommission allein unter sich auskungeln, dann wäre das auch ein Rückschritt für die europäische Demokratie.

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Liberale auf Macron-Kurs

Macron verbrämt seinen Widerstand mit der Forderung, dass in verschiedenen Ländern antretende Kandidaten nur dann einen Sinn ergäben, wenn gleichzeitig auch länderübergreifende Listen bei der Europawahl eingeführt würden – die aber ihrerseits die Gefahr bergen, dass die Distanz zwischen den EU-Politikern und den Bürgern eher wächst. Der Hauptgrund für Macrons Haltung dürfte ohnehin viel banaler sein: Weil seine Partei „La République en Marche“ mit der Suche nach europäischen Partner-Parteien erst vor der Europawahl begann, ist sie im Spitzenkandidaten-Rennen aus dem Spiel.

Ob Weber nun der Wunschnachfolger der Bevölkerung für den Kommissionsvorsitz ist, sei dahingestellt. Derzeit hat der Bayer das Problem, dass seine EVP-Fraktion zwar die stärkste im Parlament ist, dass das aber noch nicht reicht, um ihm eine Mehrheit zu sichern. Die Liberalen, die 2014 noch glühende Verfechter des Spitzenkandidaten-Modells waren, sind inzwischen auf den Macron-Kurs eingeschwenkt. Und auch die Grünen eiern herum. So spricht sich Ska Keller als deren Co-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament dafür aus, dass die Dänin Vestager die Juncker-Nachfolge antreten soll – obwohl die sich im Europawahlkampf noch bedeckt gehalten hatte. Wer sich so windet, riskiert, dass das Interesse der Bürger am EU-Parlament wieder erlahmt.

Gerade weil die Lage sowohl im Europaparlament als auch im Kreis der Staats- und Regierungschefs so unübersichtlich ist, sollten sich die Europaparlamentarier schnell auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus dem Kreis der Spitzenkandidaten einigen. Und dabei auch daran denken, das der Brexit – wenn er denn je vollzogen wird – vor allem die Fraktion der Sozialdemokraten im Europaparlament schwächen wird.

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