Dank der Europawahl war das Thema „Brexit“ in den vergangenen Tagen vorübergehend vom Radar verschwunden. Aber: Der britische EU-Austritt Ende Oktober wird die aktuelle Form des neuen Europäischen Parlaments verändern. Die dann frei werdenden Sitze werden unter den 27 verbleibenden EU-Staaten aufgeteilt – sofern das Austrittsdatum dieses Mal eingehalten wird.
Vorbehaltlich einer erneuten Änderung in letzter Minute wird das Vereinigte Königreich zum 31. Oktober 2019 aus der Union austreten. Die Zahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament wird dann von 751 auf 705 reduziert. 27 dieser Sitze werden an einige der anderen Mitgliedstaaten verteilt, während die übrigen 46 für eine mögliche zukünftige Erweiterung der EU-Versammlung „beiseite gelegt“ werden.
Im Rahmen der vorgeschlagenen Änderungen nach dem Brexit würden Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande zwischen drei und fünf zusätzliche Sitze erhalten; die Abgeordneten-Kontingente von zehn weiteren Ländern werden ebenfalls aufgestockt. Deutschland, das bereits die meisten Abgeordneten stellt, bleibt bei 96 Sitzen.
Der britische Austritt bedeutet aber auch, dass sich die politische Zusammensetzung im neuen Parlament ändern wird. Die grünen, sozialdemokratischen und liberalen Fraktionen werden davon besonders getroffen: Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Europe Elects würden die Grünen und die Sozialdemokraten in einem Parlament ohne das Vereinigte Königreich jeweils sechs Sitze verlieren, während die Liberalen gegenüber dem aktuellen Stand sogar elf Europaabgeordnete weniger hätten.
Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die rechtsextreme Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) würden hingegen jeweils vier Sitze dazu gewinnen. Davon würde auch die niederländische PVV von Geert Wilders profitieren, die innerhalb der ENF dann doch noch einen einzigen Platz im Parlament einnehmen könnte. Der niederländische Extremist war erst am vergangenen Freitag wegen „Hass-Tweets“ von Twitter vorübergehend gesperrt worden.
Nigel Farages Brexit-Partei, die mit 29 Mitgliedern die größte Einzelfraktion im neuen Parlament ist, wird das Haus Ende Oktober natürlich verlassen. Derzeit gehört die Partei keiner bestehenden Gruppierung im EU-Parlament an, es soll aber Gespräche mit der ENF geben. Die ENF ist auf Europa-Ebene auch die politische Heimat von Marine Le Pen und Matteo Salvini.
Mehr Sitze für Frankreich und Italien
„La Renaissance“ des französischen Präsidenten Emmanuel Macron würde nach dem Brexit dank der fünf neuen Parlamentssitze für Frankreich mit dem Rassemblement National von Le Pen gleichziehen: Beide Parteien hätten dann jeweils 23 Abgeordnete in Brüssel und Straßburg.
Macron wurde nach den Wahlen weitgehend als alleiniger „Verlierer“ der Europawahlen in Frankreich dargestellt, obwohl Le Pens Partei einen ähnlichen Stimmenanteil wie bei den Wahlen 2014 und nur einen zusätzlichen Parlamentssitz errang.
Italien kann derweil mit drei zusätzlichen Sitzen rechnen, die allesamt von rechten Parteien besetzt werden: Silvio Berlusconis Forza Italia, die rechtsextremen Fratelli d’Italia und die Lega von Matteo Salvini dürfen jeweils einen oder eine zusätzliche Abgeordnete stellen.
Wer für die rechtskonservative Forza Italia ins Parlament einzieht, wird davon abhängen, für welchen Wahlkreis Berlusconi seinen Sitz einnimmt. Er hatte in vier verschiedenen italienischen Wahlkreisen gewonnen. Das Rennen um den „Post-Brexit-Platz“ findet zwischen Aldo Patriciello und Fulvio Martusciello statt.
Auch Irland wird zwei weitere Sitze erhalten. Irische Medien betonten am vergangenen Donnerstag, diese „Abgeordneten auf Abruf“ würden bis zum tatsächlichen Brexit keinerlei Spesen oder ähnliche Vergütungen wie „normale“ Parlamentarierinnen und Parlamentarier erhalten.
Im Wahlkreis Irland Süd wird derzeit in Bezug auf einen der zusätzlichen Sitze nachgezählt: Zwischen dem fünften und sechsten Platz lagen im Endergebnis nur 327 Stimmen. Eine erneute Überprüfung der Abstimmungsergebnisse soll voraussichtlich einen Monat dauern.
Das jüngste Mitgliedsland der EU, Kroatien, erhält ebenfalls einen zusätzlichen Sitz. Die Gesamtzahl erhöht sich dann auf zwölf. Für diesen Platz steht die Sozialdemokratin Romana Jerković in den Startlöchern. Nach dem Brexit würden die kroatischen Sozialdemokraten dann vier Sitze haben und somit mit der konservativen Regierungspartei HDZ gleichziehen.
Unter Mitarbeit von Gerardo Fortuna und Zeljko Trkanjec.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic]