Ende der GroKo auch in Europa

Das EU-Parlament wird ab Sommer nächsten Jahres sicherlich anders zusammengesetzt sein. [EPA-EFE/PATRICK SEEGER]

Eine wachsende Zahl zentristisch-liberaler MEPs könnte auch im EU-Parlament für ein Ende der Großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten führen. EURACTIV Frankreich berichtet.

Steht das Machtmonopol der sogenannten Volksparteien auch im Europäischen Parlament vor dem Ende? Dies legt zumindest ein Bericht mit dem Titel „EU-Parlament 2019: Welches Parlament? Welches Europa?“ nahe, der vom Jacques Delors Institut/Notre Europe veröffentlicht wurde.

Die im Bericht über die künftigen Machtverhältnisse im Europäischen Parlament dargelegten Prognosen beruhen auf zwei parallel zu beobachtenden Trends: Erstens die Schwächung der beiden wichtigsten Fraktionen im EU-Parlament, und zweitens ein Aufstieg von liberalen Mitte-Parteien nach dem Erfolg von La République En Marche in Frankreich.

Macron will eine 'progressive' Koalition für die EU-Wahlen aufbauen

Macron will ein neues „progressives“ Bündnis für die Europawahlen im Mai 2019 schmieden.

Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Mitte-Links-Fraktion der S&D haben aktuell 219 bzw. 188 Mitglieder im Europäischen Parlament, was einer gemeinsamen Mehrheit von 407 von 751 Abgeordneten oder 55 Prozent entspricht.

Während der aktuellen Legislaturperiode – und auch in den vorangegangenen – hat dieser Block eine relativ leichte Bildung von Mehrheiten zwischen den beiden großen Fraktionen ermöglicht. Das wird sich mit den Europawahlen im Mai 2019 jedoch sicherlich ändern.

Veränderte Machtverhältnisse durch Brexit

Infolge des Brexits und einer Anpassung der Abgeordnetenzahlen wird das Europäische Parlament künftig 705 statt der vormals 751 Abgeordneten haben. Für eine einfache Mehrheit werden somit 353 Stimmen benötigt.

Insbesondere die Sozialdemokraten werden vom Austritt der Briten negativ betroffen sein: Die Labour-MEPs sind eine der größten nationalen Delegationen innerhalb der S&D. Ebenso beunruhigend für die Partei ist die unklare Zukunft der italienischen Partido Democratico, der größten sozialistischen Delegation. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in den kommenden Monaten eine Spaltung der Demokratischen Partei erfolgt,“ wird im Bericht betont.

Das Jacques-Delors-Institut schätzt, dass die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament daher auf 137 Mitglieder reduziert werden könnte. Auf Seiten der EVP wird die niedrigere Zahl an MEPs im kommenden Parlament voraussichtlich dazu führen, dass die Mitte-Rechts-Fraktion nach der Wahl 178 Sitze hat.

Der Bericht fasst dementsprechend zusammen: „Die beiden Fraktionen [EVP und S&D] würden die größten bzw. zweitgrößten Gruppen im Europäischen Parlament bleiben – allerdings ohne eine gemeinsame Mehrheit zu erreichen.“

Nach Sonntag: Sind die Grünen die neue politische Mitte?

Der Erfolg der Grünen sollte nicht mit einem reinen Wechsel der Mehrheiten innerhalb der linken Mitte verwechselt werden, so Reinhard Bütikofer.

Aufstieg der Liberalen

Diese Situation dürfte anderen Fraktionen neues Gewicht verleihen. Ohne sie wäre es nicht mehr möglich, eine Mehrheit zu bilden. An erster Stelle steht dabei die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE).

Sollte sich die italienische Demokratische Partei tatsächlich spalten, „würde die neue Partei von Matteo Renzi möglicherweise der ALDE-Fraktion beitreten“, wird im Bericht prognostiziert. Darüber hinaus könnte Emmanuel Macrons La République en Marche (LREM) nach aktuellen Prognosen 21 Sitze erhalten.

Der Beitritt von Macrons Partei zur ALDE-Fraktion ist jedoch nach wie vor hypothetisch. LREM hat bisher keine klare Position zu seiner Zukunft im EU-Parlament bezogen.

Zwei Optionen gelten als denkbar: Erstens die Bildung einer neuen Fraktion, für die mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben EU-Ländern erforderlich wären. Die zweite Lösung – der Beitritt zur ALDE – erscheint wahrscheinlicher, hängt aber wohl auch von der Kooperationsfähigkeit von LREM mit dem charismatischen ALDE-Fraktionsvorsitzenden Guy Verhofstadt ab.

„Der Nachteil bei dieser Option ist die Notwendigkeit eines Kompromisses mit einer bereits etablierten politischen Fraktion, die von einer starken Persönlichkeit geleitet wird,“ glauben auch die Verfasser des Berichts.

Sollte ein Kompromiss gefunden werden, dürfte die zukünftige zentristisch-liberale Parlamentsgruppe etwa 93 Abgeordnete haben. Wichtige Beiträge dazu kämen auch von Ciudadanos aus Spanien und der deutschen FDP.

Frankreichs Linke will EU-Wahlen zum "Referendum" gegen Macron machen

La France Insoumise will die EU-Wahlen zu einem „Referendum“ gegen die neoliberale Politik von Präsident Emmanuel Macron machen.

Populisten weniger stark vertreten als befürchtet

Der Aufstieg von Populisten und Rechtsextremen im zukünftigen Parlament könnte hingegen begrenzter ausfallen, als bisher angenommen. Grund dafür ist ebenfalls der „Brexit-Effekt“: Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (die drittgrößte Fraktion im Europäischen Parlament, in der auch die britischen Konservativen sitzen) könnte durch den britischen Ausstieg von 71 auf 48 Europaabgeordnete schrumpfen.

Im Gegensatz dazu dürfte aber die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit, in der unter anderem die rechten Parteien von Marine Le Pen (Frankreich) und Matteo Salvini (Italien) vertreten sind, ihre Sitzzahl von 35 auf 50 erhöhen.

Auch die Gruppierung Europa der Freiheit und der direkten Demokratie könnte trotz des Ausscheidens der britischen UKIP-Mitglieder demnächst 45 statt 53 MEPs stellen. Insgesamt würden alle drei euroskeptischen Fraktionen somit 160 Sitze haben – statt derzeit 151.

Europawahl 2019: "Die EU-Kommission wird durchmischter"

Die Angst vor großen Erfolgen populistischer Parteien bei den EU-Wahlen sind übertrieben, glaubt Piotr Buras. Das kommende Parlament und die neue Kommission werden aber viel durchmischter sein.

Europa stolpert auf die Wahlen zu

Die aktuellen politischen Unsicherheiten in Deutschland könnten Einfluss auf die EU-Wahlen im Mai 2019 haben. Macron startet seinen "progressiven" Wahlkampf am Samstag in Berlin.

Droht eine neue Wirtschaftskrise vor den EU-Wahlen?

Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums könnte die politische Debatte im Vorfeld der Europawahlen im kommenden Mai bestimmen.

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Abonnieren