Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Europa und die Gefahr einer erneuten Rezession, sollte sich der globale Handelskrieg weiter verschärfen, könnten die politische Debatte im Vorfeld der Europawahlen im kommenden Mai bestimmen.
Als die Wähler bei den letzten Europawahlen 2014 an die Wahlurne gingen, war die EU-Wirtschaft gerade auf dem Weg der Erholung, nachdem sie zuvor die schwerste Rezession ihrer Geschichte erlebt hatte.
Während es für die Mitgliedstaaten 2014 also bergauf zu gehen schien, könnten sie sich vor den anstehenden Wahlen im Frühsommer einem erneuten Wirtschaftsdämpfer gegenübersehen.
Institutionen, Analysten und Ökonomen sind sich einig, dass die europäische Wirtschaftsleistung an Fahrt verliert. Nachdem das Jahr 2017 aus Wirtschaftssicht deutlich besser verlief als erwartet, verlangsame sich die Konjunktur nun. Noch läuten die Alarmglocken nicht, denn die Binnennachfrage stützt die EU-Wirtschaft. Zunehmend wird jedoch das Jahr 2020 als kritischer Zeitpunkt bezeichnet, an dem der aktuelle Expansionszyklus zu Ende gehen könnte.
Der Zeitpunkt könnte aufgrund externer Risiken, insbesondere des vom US-Präsidenten Donald Trump ausgelösten Welthandelskrieges, jedoch schon früher kommen, so eine EU-Quelle.
Dabei soll die Wirtschaft der 27 EU-Staaten (ohne das Vereinigte Königreich, das Ende März aus der Union austritt) im kommenden Jahr um 2,1 Prozent wachsen, so die im Juli veröffentlichte Prognose der Europäischen Kommission.
Die EU-Exekutive hatte das erwartete Wachstum für dieses und das kommende Jahr allerdings nach unten korrigiert. Die Wirtschaft lasse allmählich nach und der Handelsstreit mit den USA beeinträchtige bereits das globale Wachstum.
„Ich möchte die Abwärtsrisiken nicht unterschätzen, sie bestehen zweifellos, aber wir befinden uns immer noch in diesem Expansionszyklus, so dass wir keine Katastrophe erwarten,“ erklärte dementsprechend Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici im Juli.
Die rein wirtschaftlichen Zahlen sind also ermutigend: Alle europäischen Volkswirtschaften wachsen, die Arbeitslosigkeit sinkt in ganz Europa und die öffentlichen Defizite liegen unter drei Prozent. Seit 2013 wurden 9,2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen.
Innere und äußere Gefahren
Dennoch mehren sich Befürchtungen über eine konjunkturelle Abkühlung, die darüber hinaus mit einer Häufung externer Risiken einhergehe. Für Wirtschaftsanalysten ist beispielsweise die hohe Verschuldung Chinas ein beunruhigender Faktor.
Innerhalb Europas könnte auch der erbitterte Konflikt zwischen Italien und seinen EU-Partnern über den Haushalt Roms für das kommende Jahr zu einer Wiederholung der Marktturbulenzen der Jahre 2011 und 2012 führen.
Gefundenes Fressen für Populisten
Extreme Parteien und populistische Kräfte sind in den letzten Jahren in ganz Europa trotz der robusten Wirtschaftszahlen auf dem Vormarsch gewesen.
In der letzten Eurobarometer-Umfrage, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, stieg die Zahl der Bürger, die der Ansicht sind, dass sich die Dinge in Europa in die falsche Richtung bewegen, nach zwei Jahren des Rückgangs erneut an. Heute sei die Hälfte der Europäer mit der Richtung, die Europa eingeschlagen habe, unzufrieden.
In den letzten Jahren hat sich die Unzufriedenheit mit wirtschaftlichen Entwicklungen als eine mächtige Kraft erwiesen, um die politische Landschaft in Europa und anderswo zu erschüttern – von der Indignados-Bewegung in Spanien bis zu Occupy Wall Street oder auch zum arabischen Frühling.
Aktuell wenden sich auch rechtsextreme Parteien wieder verstärkt der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu, um zu punkten. So kritisierte Matteo Salvini, der Führer der rechtsextremen Lega in Italien, die „Austeritätspolitik“ Brüssels, als er zusammen mit der französischen Nationalistin Marine Le Pen kürzlich eine neue politische Initiative startete.
Die Rhetorik und die Anfeindungen der Rechtsextremen dürften sich verschärfen, wenn die Wirtschaftszahlen sich tatsächlich wieder rot färben sollten.