2017 von drei politisch unerfahrenen Studenten gegründet, ist die Bewegung „Volt“ inzwischen in 14 europäischen Mitgliedsstaaten als Partei gelistet. EURACTIV sprach mit Damian Boeselager über u.a. La République en Marche, eine Europäische Armee und das Einstimmigkeitsprinzip.
Damian Boeselager, 31 Jahre, ist Mitbegründer und Vizepräsident von Volt Europa. Seit November 2018 führt er die Kandidaten des deutschen Ablegers der Partei an.
EURACTIV: Noch ist Volt eine sehr junge Partei, vielen ist sie unbekannt. Was ist das Selbstverständnis Ihrer Partei, an wen richten Sie sich?
Boeselager: Wir sind die erste pan-europäische Partei, die über alle Mitgliedsstaaten hinweg das gleiche politische Programm hat. Wir sind eine Antwort auf die zunehmend nationalistischen Tendenzen, die wir überall sehen. Dem wollen wir mit einer faktenbasierten, pragmatischen Politik entgegentreten. Daher richten wir uns auch an alle, die die EU weiterentwickeln wollen und verstehen, dass viele Probleme nur auf europäischer Ebene gelöst werden können.
Wie effektiv kann ein Wahlprogramm sein, das in allen Mitgliedsstaaten gleich ist? In jedem Mitgliedsstaat braucht es doch ganz andere Lösungen für nationale Probleme.
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und ein 200 Seiten langes Wahlprogramm ausgearbeitet. Darin tauchen erst einmal relativ wenige, konkrete Zahlen auf, zum Beispiel zu Steuersätzen. Das liegt daran, dass es ein Rahmenprogramm ist, auf das verschiedene Programme gesetzt werden können, vom EU-Programm bis hin zur Lokalwahl. Das haben wir bereits getan, von den Brüsseler Lokalwahlen bis hin zum deutschen Wachenheim.
Ihre Mitgliederstruktur ist auffällig jung. Ist Volt eine Partei für junge Wähler?
Keineswegs. Anfangs war unser Altersdurchschnitt in der Tat jung. Das lag daran, dass wir Gründer jung waren. Inzwischen liegt der Durschnitt bei 33 Jahren, wir haben auch Kandidaten über 60 auf unserer deutschen Wahlliste. Wir wollen im Prinzip alle erreichen, die im Geiste jung geblieben sind.
Wo kann man Sie im politischen Spektrum einordnen?
Wir wollen uns da nicht einreihen. Unsere Arbeit ist problemorientiert und frei von rechter oder linker Ideologie. Das ginge bei einer europäischen Partei auch gar nicht, schließlich bedeutet links zum Beispiel in Rumänien etwas ganz anderes als in Spanien. Wenn man politisch etwas verändern möchte, braucht man sich nicht von politischen Theorien aus dem 18. Jahrhundert abhängig zu machen. Zugleich sehen wir eine große politische Lücke, denn keine aktuelle Partei nimmt die Frage ernst, wie man das europäische Projekt reformieren und gegen nationalistische Bewegungen festigen kann.
Ihr Wahlprogramm hat viele Überschneidungen mit den Ideen Emmanuel Macrons. Hat Ihnen La République en Marche als Inspiration gedient?
Das stimmt, wir stimmen in vielen Ideen überein. Wir unterstützen zum Beispiel die Idee eines EU-Finanzministers oder einer europäischen Armee – vorausgesetzt, dass sie unter parlamentarischer Kontrolle steht, nicht unter der Kommission.
Aber man muss generell unterscheiden, was Macron tut und was wir tun. Macron ist ein Regierungschef, der seine Vision für Europa vorantreibt. So wir Macrons Reformvorschläge finden, als Deutscher kann ich Macron leider nicht wählen.
Daher machen wir es anders und haben unsere Bewegung pan-europäisch aufgebaut. Wir wollen keine nationale Brille. Denn Macron ist natürlich ein nationaler Politiker, der auch Entscheidungen trifft, die wir überhaupt nicht mittragen können. Die Verschließung von Häfen für Flüchtlinge zum Beispiel oder die Sperrung von Fusionen europäischer Unternehmen.
Die Klimapolitik ist eines der Politikfelder, die zweifelsohne eine europäische Lösung fordern. Was ist hier der Standpunkt von Volt?
Wir brauchen auf jeden Fall eine europaweite CO2-Steuer und es muss weniger Ausnahmen beim EU-Emissionshandel (European Union Emissions Trading System, EU ETS) geben. Darüber hinaus muss der öffentliche Nahverkehr gestärkt werden. Und es braucht Preissignale im Schienenverkehr – es kann nicht sein, dass eine Zugfahrt so viel teurer ist als das Flugzeug. Letztendlich brauchen wir ein europäisches Klimagesetz um sicherzustellen, dass Pariser Klimaziele erreichet werden.
Wenn Sie im Mai ins Europaparlament einziehen sollten, werden Sie sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob und welcher Fraktion Sie sich anschließen wollen.
Ja – unser Plan ist es, mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern aufzustellen. Es braucht nämlich 25 MEPs, um eine Fraktion zu gründen. Sollte uns das gelingen, wären wir die erste Fraktion, die genau der Partei entspricht, die die Menschen gewählt haben. Das Problem ist doch: Die allerwenigsten kennen die europäischen Parteien. Woher denn auch? Da schließen sich in Brüssel nationale Parteien zu losen Konglomeraten zusammen, ohne dass ihre Politik kohärent wäre. Ein Beispiel: Die SPD hat sich gegen den Artikel 13 des Urheberrechts ausgesprochen, auf europäischer Ebene hat die S&D aber dafür gestimmt.
Nun müssen Sie damit rechnen, nicht ad hoc auf 25 Sitze zu kommen. Was tun Sie in diesem Fall?
Dann werden wir schauen, was für potentiell neue Gruppen sich im Europaparlament bilden und wo wir uns in diesen Prozess einbringen können. Wir sind offen für den Dialog. Sollten wir uns einer etablierten Fraktion anschließen müssen, werden wir alles dafür tun, dort unsere eigene Politik durchzusetzen. Aber darüber werden dann unsere Mitglieder entscheiden.
Sie fordern eine Reformierung der EU. Wie müssen sich die Institutionen verändern?
Als allererstes müssen die Parlamentier direkt wählbar sein. Dann müssen sie ein Initiativrecht haben, um Gesetze vorzuschlagen und sie müssen die Kommission demokratisch wählen können. Außerdem muss der EU-Rat zu einer Art Bundesrat umformiert werden, der darauf achtet, dass Kompetenzen der darunterliegenden Länder nicht eingeschränkt werden, sozusagen ein föderales System auf EU Ebene. Der EU-Rat wird von nationalen Interessen angetrieben, nicht von europäischen, das ist klar.
Unterstützen Sie also eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, das in einigen Themenbereichen im EU-Rat gilt? Damit könnte gegen den Willen einzelner Staaten gehandelt werden.
Ja, absolut. Wir brauchen eine Beschlussfassung basierend auf qualifizierten Mehrheiten. Es kann nicht sein, dass einzelne Länder wie Irland oder Luxemburg eine europaweite Steuerregelung blockieren. Wir fordern zum Beispiel eine einheitliche Körperschaftssteuer von mindestens 15 Prozent.
Volt geht mit Forderungen nach noch mehr EU-Integration in den Wahlkampf. Ist das nicht riskant in so EU-kritischen Zeiten?
Ich denke, dass wir genau das brauchen. Dazu ein Beispiel: Im Jahr 2011, als die Eurokrise noch am Laufen war, habe ich mich in Griechenland mit einem Mann unterhalten. Er sagte mir: Wie kann es sein, dass Merkel meinen Lohn halbiert? Das war eine spannende Frage. Er sah, dass die deutsche Bundeskanzlerin Einfluss auf die griechische Politik hat. Aber er hatte keine Möglichkeit, sie abzuwählen oder demokratisch abzustrafen.
Das ist der Grund für sehr viel Euro-Skeptizismus. Die EU hat ein demokratisches Defizit. Wenn die gewählten Parlamentier selber Gesetze auf den Weg bringen können, wie sie es in jedem Parlament auf der Welt tun können, würde das schon viel ändern.
Geht der Brexit Ihrer Meinung nach auf dieses Defizit zurück?
Das war ein großer Teil davon. Die Briten haben traditionell eine starke parlamentarische Demokratie. Das hat ihnen in Brüssel gefehlt.
Was ist Ihre Botschaft für den Wahlkampf?
Unser Spruch auf den deutschen Wahlplakaten lautet: „Du bist dran.“ Wir wollen deutlich machen, dass die Zeit der passiven Beschwerden vorbei ist. Es besteht eine reelle Chance, dass das Europaparlament nach den Wahlen zu 40 Prozent anti-europäisch ist.
Deshalb ist genau jetzt der Moment zu überlegen, wie wir die EU reformieren können, damit sie wieder für alle funktioniert. Die Lösung dazu liegt nicht im Nationalismus. Um das zu verstehen, muss man kein Fahnen-schwenkender Europabürger sein.