Eine Super-Koalition aus Liberalen, Sozialdemokraten und Konservativen im Europaparlament hat Ja gesagt zur neuen EU-Kommission: Die Mannschaft von Jean-Claude Juncker kann also wie geplant am 1. November an den Start gehen. Für den Kommissionschef gibt es auch einen „großen Verlierer“ – und zwar ihn selbst.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigte sich am gestrigen Mittwoch im EU-Parlament motiviert: „In Europa ist jetzt die Zeit zum Handeln gekommen“, sagte Juncker vor den Abgeordneten.
„Die Probleme Europas können nicht auf die lange Bank geschoben werden.“ Seine EU-Kommission sei „die letzte Chance“, um das verlorene Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.
Zumindest das Vertrauen des EU-Parlaments konnte sich Juncker sichern. Bei der Abstimmung über die gesamte EU-Kommission wurden 699 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 423, mit Nein stimmten 209. 67 Abgeordnete enthielten sich.
Als Juncker am 10. September sein neues Team vorgestellt hatte, habe er beweise wollen, „dass wir in der Lage sind schnell und effektiv Ergebnisse zu liefern“, sagte der Luxemburger in seiner Rede vor dem EU-Parlament.
„Genau deshalb wird es in der neuen Kommission eine neue Struktur und eine neue Arbeitsweise geben. Die Kommission ist ein Team und weitaus mehr als nur die Summe ihrer Bestandteile. Die Kommission funktioniert als Kollegium, statt von Schubladendenken, Clustern oder abgegrenzten Portfolios geprägt zu sein. Ich will eine politische Kommission, die dem Gemeinwohl und den Bürgern Europas zu Diensten steht“, so Juncker.
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Timmermans übernimmt „nachhaltige Entwicklung“
Während der Anhörungen hatten die Abgeordneten eine Reihe von Bedenken gegenüber einigen Kommissaren geäußert. Juncker erklärte, dass er „rasch“ auf die von den Parlamentariern formulierten Kritik eingehe und erläuterte, wie er diese ausräumen will. Wohl auf Druck der Sozialdemokraten hat der neue Kommissionspräsident beschlossen, den Zuständigkeitsbereich von Frans Timmermans auszuweiten und ihm auch horizontal die Verantwortung für nachhaltige Entwicklung zu übertragen.
Die Verantwortung für Arzneimittel und pharmazeutische Erzeugnisse wird bei der Generaldirektion Gesundheit bleiben. Wie Juncker erklärte, teile er die Auffassung der Abgeordneten, dass Arzneimittel keine Produkte wie alle anderen sind. Die Weltraumpolitik fällt in den Zuständigkeitsbereich der Generaldirektion Binnenmarkt und Industrie und liegt damit in den Händen von El?bieta Bie?kowska.
Der Kulturausschuss des EU-Parlaments hatte entschieden, dass der Ungar Tibor Navracsics zwar dem Kommissionskollegium angehören könne, jedoch ungeeignet sei, die ihm zugedachten Aufgaben wahrzunehmen. Dies waren ursprünglich die Bereiche Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft. Der Bereich Bürgerschaft werde nun dem griechischen Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos anvertraut, erklärte Juncker.
Juncker sprach Navracsics nochmals sein Vertrauen aus. „Er hat bei seiner Anhörung einen hervorragenden Eindruck hinterlassen und sein starkes Engagement für Europa unter Beweis gestellt, weswegen Sie ihn als designiertes Kommissionsmitglied für geeignet hielten.“
Juncker: „Der große Verlierer bin ich“
Juncker verwies mehrmals auf die neue Struktur der EU-Kommission: „Der große Verlierer bin ich selbst“, sagte Juncker. „Ich habe die meisten Aufgaben an meine Vizepräsidenten abgegeben.“ Durch die Umverteilung erhofft sich Juncker eine effizientere und schlankere Arbeitsweise der Kommission.
Zugleich kündigte der Luxemburger die Einführung eines Wachstumspakets in Höhe von 300 Milliarden Euro noch für dieses Jahr an. Unklar bleibt jedoch, woher die Gelder für die Maßnahme kommen soll.
Grüne, Linke und FDP-Abgeordnete sagen Nein
Die neue EU-Kommission erhielt eine Mehrheit aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen. Die Grünen, Linken und die drei Abgeordneten der FDP stimmten gegen Juncker. „Wir lehnen diese Kommission nicht pauschal ab: Unsere Fraktion hat einige Kommissare positiv bewertet und wird mit der neuen Kommission wo immer möglich konstruktiv zusammenarbeiten“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz spielten in dieser Kommission allerdings nur eine untergeordnete Rolle.
Die „hastige Entscheidung“, Frans Timmermans den Bereich Nachhaltigkeit anzuvertrauen, sei sogar „absurd“, denn der Niederländer trete an für den Abriss europäischer Regeln, so Harms „Aber gerade um die Ziele von nachhaltiger Politik zu erreichen, brauchen wir verbindliche europäische Regeln.“
Der FDP-Abgeordnete Michael Theurer befürchtet ein „Kompetenzgerangel“ zwischen Vizepräsidenten und Fachkommissaren. „Damit droht Sand im Getriebe, obwohl die neue Kommission angesichts von Rezession, Krisenherden von der Ukraine bis Syrien und Irak sowie Großbaustellen wie der Energie-Union und dem Flüchtlingselend an unseren Außengrenzen eigentlich mit Volldampf durchstarten müsste“, sagte Theurer.