Bundeskanzlerin Merkel hat am Vormittag auf Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an einer Kabinettssitzung der bayerischen Regierung teilgenommen. Viel Neues brachten die Gespräche nicht – dafür symbolträchtige Bilder.
Die Kabinettssitzung fand auf Schloss Herrenchiemsee statt, einem seinerseits symbolträchtigen Ort, an dem 1948 ein Verfassungskonvent die Grundlagen für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeitete.
Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass eine amtierende Regierungschefin im bayerischen Kabinett zu Gast war.
Auch die Demonstration gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung am Rande des Treffens konnte der Harmonie nichts anhaben. „Es war ein toller Tag bisher, nicht nur vom Ort, vom Wetter und von der Stimmung, sondern auch inhaltlich nachhaltig,“ sagte Söder auf einer gemeinsamen Pressekonferenz über das Treffen. Der Besuch der Kanzlerin sei eine „große Freude und Ehre zugleich“. Das heute so freundliche Bild bietet einen starken Kontrast zu früheren Konflikten zwischen den beiden, etwa während der sogenannten Flüchtlingskrise oder bei den bayerischen Landtagswahlen.
Treffen als „Zeichen des Wiederzusammenfindens“
Auf der Tagesordnung standen der weitere Umgang mit der Coronavirus-Pandemie sowie die deutsche Ratspräsidentschaft, von der Söder sagte, dass „vielleicht noch nie eine Ratspräsidentschaft so wichtig“ gewesen sei wie die jetzige. Merkel zeigte sich ihrerseits dankbar für die bayerische Unterstützung ihrer EU-Pläne.
Es sei ein Meinungsaustausch mit einer “ganz großen Übereinstimmung” gewesen, zeigte sich Söder im Anschluss zugfrieden. Von einem Treffen, bei dem es, wie Söder selbst sagte, um die “Symbolkraft der Begegnung” ging, war auch nicht viel anderes zu erwarten.
Die gemeinsame Sitzung sei ein “Zeichen des Wiederzusammenfindens”, sagte der bayerische Ministerpräsident während der gemeinsamen Pressekonferenz. Man habe außerdem den Ort bewusst ausgewählt, um eine „sehr positive Wegstrecke“ zu verdeutlichen und ein „anderes Symbol“ zu zeigen.
Als erste Bundeskanzlerin nimmt Angela #Merkel an einer Sitzung des bayerischen Kabinetts teil. Auf #Herrenchiemsee stellt sie die Schwerpunkte und Aufgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft #EU2020DE vor. pic.twitter.com/88h7L6Zvxw
— Steffen Seibert (@RegSprecher) July 14, 2020
Geflüchtetenpolitik als Beziehungsprobe
Damit spielte Söder wohl auch auf die Schwierigkeiten im Verhältnis der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei an. Insbesondere der Dissens über die Geflüchtetenpolitik der Bundesregierung nach 2015 hatte den Streit im Sommer 2018 eskalieren lassen. Kurz schien damals ein Bruch der Union denkbar.
Nicht nur Bundesinnenminister Horst Seehofer kritisierte die Kanzlerin öffentlich, auch Söder ging auf Distanz. Anders als seine Vorgänger verzichtete er im Landtagswahlkampf 2018 weitgehend auf gemeinsame Auftritte mit der Bundeskanzlerin. Stattdessen zeigte er sich auf der Abschlusskundgebung mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen Land laut Söder mit Bayern eine „gemeinsame Überzeugung und Haltung“ in der Flüchtlingspolitik teile.
Als die CSU bei der anschließenden Landtagswahl im Oktober 2018 ein historisch schlechtes Ergebnis erzielte und erstmals die absolute Mehrheit in Bayern verlor, führte Söder dies auch auf die Politik der Bundesebene zurück. Vor allem mit Blick auf die Diskussionen über die Geflüchtetenpolitik hätte es im Vorfeld der Wahl “einige Situationen gegeben, die es den großartigen Wahlkämpfern nicht immer leicht gemacht haben”, monierte Söder unmittelbar nach der Wahl.
Söder: Viele sind “neidisch auf Deutschland”
Heute schien das aber alles vergeben und vergessen. Das Ebnen einer „positiven Wegstrecke“ – um bei Söders Worten von heute zu bleiben – ging der bayerische Ministerpräsident bereits im vergangenen Jahr an: Anstatt auf Stimmenfang rechts der CSU zu gehen, setzte er auf Abgrenzung zur AfD und rückte eher grüne Themen in den Mittelpunkt der politischen Agenda.
Anfang dieses Jahres sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er glaube, „dass viele Angela Merkel noch nachtrauern werden, wenn sie 2021 aufhört“. Es folgten zu verschiedenen Anlässen Lobreden auf die Kanzlerin; so auch heute.
Dass Deutschland „besser durch die Krise gekommen“ sei als andere Länder, sei in hohem Maße der Kanzlerin zu verdanken. Viele würden „neidisch auf Deutschland“ schauen, so der bayerische Ministerpräsident während der heutigen Pressekonferenz.
Mit vereinten Kräften gegen die Pandemie
Beim Thema Coronavirus arbeiteten Merkel und Söder bereits zuvor eng zusammen. Die Kanzlerin und der Ministerpräsident verfolgten einen ähnlichen Kurs zur Bekämpfung der Pandemie, indem sie für langsame Öffnungen plädierten und wiederholt vor der Gefahr einer zweiten Infektionswelle warn(t)en.
Hinzu kommt, dass Söder im Frühjahr turnusgemäß den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehatte und damit die Beratungen der Landesoberhäupter mit der Kanzlerin leitete.
Das heutige Treffen ist daher ebenfalls Teil der „ungewöhnlich engen und sehr, sehr guten Zusammenarbeit“, wie Merkel betonte. Söder hatte die Einladung an die Kanzlerin bereits in der Hochphase der Coronavirus-Krise ausgesprochen, als „herzliches Dankeschön für das Verständnis und die gemeinsame Grundüberzeugung von Umsicht und Vorsicht“.
Kommt jetzt die Einladung aus NRW?
Bereits im Vorfeld des Treffens war von zahlreichen Experten über die Bedeutung der Zusammenkunft für die Kanzlerfrage spekuliert worden.
Seit Monaten liegt Söder hinter Merkel in Umfragen auf Platz zwei der beliebtesten Politikerinnen und Politiker in Deutschland. Den Umfragen zufolge gilt er auch als der aussichtsreiche Kandidat für die Nachfolge Merkels an der Spitze der Bundesregierung. Laut der neuesten von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführten Umfrage zum Politbarometer halten rund zwei Drittel der Bevölkerung Söder für einen geeigneten Kanzlerkandidaten – Anfang März waren es „nur“ rund 30 Prozent. Friedrich Merz und Armin Laschet hingegen, die beide für das Amt des CDU-Vorsitzenden kandidieren und damit als potenzielle Kanzlerkandidaten gelten, fallen dahinter deutlich zurück.
Merkel kündigte heute indes an, auch andere Länder-Kabinette besuchen zu wollen, sofern sie dazu eingeladen würde, „unabhängig davon, ob sie sich für den CDU-Vorsitz bewerben“. Auch wolle sie in der Frage um ihre Nachfolge besondere Zurückhaltung üben. „Ich kann nur sagen: Bayern hat einen guten Ministerpräsidenten“, so die Kanzlerin.
Es bleibt abzuwarten, ob nach der Sommerpause weitere Einladungen folgen werden.