Ungarn hat keinerlei Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen zum Thema Korruption von Parlamentsmitgliedern, Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwaltschaften gemacht, kritisiert das Anti-Korruptionsgremium des Europarates in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht.
Die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) kommt zu dem Schluss, dass Ungarn seit dem vergangenen Jahr keine Fortschritte gemacht und bisher nur fünf von 18 Empfehlungen aus dem Jahr 2015 zufriedenstellend umgesetzt habe.
Damit sei die Implementierung der GRECO-Empfehlungen von Seiten Budapests „insgesamt unbefriedigend“.
Unterdessen rangiert Ungarn im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International im Jahr 2019 auf Platz 70 von 198 Ländern – die zweitschlechteste Platzierung eines EU-Staates, hinter Bulgarien.
Korruption ist in Ungarn weit verbreitet, meinten 87 Prozent der befragten ungarischen Bürgerinnen und Bürger in einer im Juni 2020 veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage. Dies liegt über dem EU-Durchschnitt von 71 Prozent.
Weitere 32 Prozent stimmen „voll und ganz“ der Aussage zu, dass sie „im täglichen Leben persönlich von Korruption betroffen sind“ – gegenüber 26 Prozent im Jahr 2017.
GRECO fordert daher unter anderem mehr Transparenz und Konsultation im Gesetzgebungsverfahren, die Verabschiedung eines Verhaltenskodex für Abgeordnete, eine bessere Offenlegung von Interessenkonflikten, eine größere Einheitlichkeit bei Vermögenserklärungen und eine Überprüfung der Immunität von Parlamentsabgeordneten.
Die Anti-Korruptionsinstitution moniert weiter, es habe keine Fortschritte in Bezug auf Richterinnen und Richter gegeben: Wichtig sei insbesondere die Frage nach dem Präsidenten des Nationalen Justizamtes (NJA), dem Organ, das über die Ernennung von Richterinnen und Richtern entscheidet und die Arbeit der Gerichte überwacht.
GRECO hatte bereits zuvor kritisiert, dass die Beteiligung des NJA-Präsidenten am Kandidaturprozess von Führungskräften der Justiz „das Potenzial hat, willkürliche und voreingenommene Entscheidungen eines einzelnen Beamten in den Auswahlprozess einzubringen“.
Beispielsweise war die ehemalige NJA-Präsidentin Tünde Handó, die inzwischen in das Verfassungsgericht des Landes gewählt wurde, beschuldigt worden, ihre Macht über die Ernennung neuer Richter durch den selbstverwalteten Nationalen Justizrat missbraucht zu haben.
Der Europäische Richterverband betonte seinerzeit, Handós Tätigkeit als NJA-Chefin habe die ungarische Justiz in eine „sehr schwierige Situation gebracht, die in einigen Aspekten einer Verfassungskrise nahe kommt“.
Kritiker vermuteten, Handós Berufung ins Verfassungsgericht sei ein Versuch der Regierung, ihr zu helfen, dem internationalen Druck zu entfliehen.
Erst im vergangenen Monat wählte das ungarische Parlament András Zsolt Varga für die kommenden neun Jahre an die Spitze des Verfassungsgerichts. Auch dieser Schritt stieß auf Kritik, da Varga – ein ehemaliger Mitarbeiter des umstrittenen Generalstaatsanwalts Péter Polt – vor seiner ersten Berufung in das Gericht im Jahr 2014 noch nie in irgendeiner richterlichen Funktion tätig gewesen war.
GRECO beklagt außerdem die sehr begrenzten Fortschritte in Bezug auf Staatsanwälte: Disziplinarverfahren gegen sie würden immer noch nicht unabhängig behandelt. Außerdem sei nichts in Bezug auf die umstrittene Verlängerung der Amtszeit des Generalstaatsanwalts unternommen worden.
Auch bezüglich der allgemeinen Immunität, die Staatsanwälte genießen, gebe es keine Fortschritte zu berichten.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]