Die weltweiten Todesfälle durch Terrorismus sind laut dem Global Terrorism Index 2020 das fünfte Jahr in Folge gesunken. Rechtsextreme Attacken haben zeitgleich jedoch weltweit um 250 Prozent zugenommen. Man habe inzwischen einen Höchststand der letzten 50 Jahre erreicht – und die anhaltende Pandemie könnte den Trend zum rechten Terror noch verschärfen.
Die Zahl der Todesfälle durch Terrorismus ist im vergangenen Jahr weltweit um 15 Prozent auf unter 14.000 zurückgegangen. Dies entspricht außerdem einem Rückgang um 59 Prozent seit 2014, heißt es im aktuellen Terror-Bericht des Instituts für Wirtschaft und Frieden (IEP), der am heutigen Mittwoch veröffentlicht wurde.
Der Global Terrorism Index des Instituts listet Länder entsprechend der Häufigkeit und des Ausmaßes terroristischer Angriffe. Dafür werden Faktoren wie die Anzahl der Attacken und der Todesfälle herangezogen.
Demnach verzeichnete die MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) im zweiten Jahr in Folge die größte regionale Verbesserung beim Thema Terrorismus. Es habe 2019 die bisher niedrigste Zahl von Todesopfern seit 2003 gegeben. Der Rückgang sei zumindest teilweise auf den Zusammenbruch des sogenannten „Islamischen Staats“ sowie die anschließende Deeskalation der Konflikte im Nahen Osten zurückzuführen.
Zeitgleich ist allerdings die Zahl der rechtsextremen Terrorakte seit 2014 um 250 Prozent gestiegen. Bezogen auf die Todesopfer betrug der Anstieg innerhalb der vergangenen fünf Jahre sogar mehr als 700 Prozent. 89 Menschen wurden 2019 von Rechtsextremen getötet. Bereits im Vorjahr hatte das IEP auf deutliche Anstiege rechten Terrorismus‘ hingewiesen.
Somit gab es 2019 mehr rechte Angriffe als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 50 Jahren: Insgesamt wurden 13 rechtsextreme Terroranschläge gezählt, bei denen jeweils mehr als zehn Menschen getötet wurden. Hinzu kommen 24 entsprechende islamistisch motivierte Anschlägen, und drei, die mit anderen Ideologien in Verbindung gebracht werden, so der Bericht.
„Zu Beginn eines neuen Jahrzehnts sehen wir auch neue terroristische Bedrohungen. Die Zunahme des Rechtsextremismus im Westen und die Verschlechterung der Lage in der Sahelzone sind Paradebeispiele,“ fasste der geschäftsführende Direktor des Instituts, Steve Killelea, zusammen. „Darüber hinaus sind, wie die jüngsten Anschläge in Frankreich und Österreich zeigen, viele kleinere Gruppen, die der IS-Philosophie positiv gegenüberstehen, nach wie vor aktiv.“
Laut Thomas Morgan, einem Senior Research Fellow am IEP, gebe es darüber hinaus oft die „falsche Vorstellung“, dass Terroranschläge vorwiegend in westlichen Nationen verübt würden. Dies liege einerseits an der Berichterstattung in westlichen Medien, andererseits aber auch am Fakt, „dass 96 Prozent der terroristischen Anschläge im Kontext bereits bestehender [kriegerischer] Konflikte verübt werden“, sagte er mit Blick auf Länder wie Afghanistan, Syrien, Nigeria, Somalia oder den Jemen.
Pandemie könnte „Instabilität“ verschärfen
Morgan erklärte weiter, er befürchte, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowohl das Ausmaß als auch die Arten des Terrorismus, die in den kommenden Jahren auftreten könnten, beeinflussen dürften.
Während Lockdowns und Ausgangssperren, geschlossene Grenzen und gecancelte Flüge es Terroristen erschwert hätten, sich fortzubewegen, neues Fußvolk zu rekrutieren und Verbrechen zu begehen, habe die Widerstandsfähigkeit vieler westlicher Gesellschaften in den vergangenen Jahren ebenfalls abgenommen, warnen die Autoren der Studie.
Dem Bericht zufolge könnten die Pandemie und die unsicheren wirtschaftlichen Aussichten jetzt zu noch mehr politischer Instabilität führen. „Es könnte außerdem sein, dass weniger Mittel für Antiterrormaßnahmen oder Aktivitäten zur Schaffung eines besseren sozioökonomischen Umfelds, in dem die Menschen weniger zur Radikalisierung neigen, zur Verfügung stehen,“ erklärte Serge Stroobants, Direktor für Europa, den Nahen Osten und Nordafrika beim IEP, im Gespräch mit EURACTIV.com.
„Angesichts diesen sozioökonomischen Drucks könnten wir beobachten, dass sich mehr Menschen von der Gesellschaft entfremden, mehr Menschen sich diskriminiert fühlen und mehr Menschen dazu neigen könnten, den Botschaften von [terroristischen] Rekrutierern und Rattenfängern Gehör zu schenken“, sagte Stroobants und machte deutlich: „Das ist ein potenzielles zukünftiges Risiko.“
Auf die Frage, was nötig sei, um terroristischen Tendenzen entgegenzuwirken, sagte Stroobants weiter: „Es ist notwendig, die Art und Weise zu überprüfen, wie Gesellschaften aufgebaut sind und werden. Und es muss sichergestellt werden, dass weniger Menschen zu diesem Grad der Frustration, diesem Grad der Entfremdung gelangen.“
Terroristischer Online-Content
Um den Einfluss von terroristischen Gruppen zu mindern seien darüber hinaus „drei große Initiativen erforderlich: Die Medienberichterstattung und soziale Online-Netzwerke [von terroristischen Gruppen] müssen unterbrochen, ihre Finanzierung gestört und die Zahl der Sympathisanten verringert werden,“ fügte Killea hinzu.
In einem weiteren Papier, das als Teil des jährlichen Global Terrorism Index veröffentlicht wurde, stellt der Forscher Milo Comerford beispielsweise fest, dass ein pro-IS Netzwerk zwischen April und Juli auf Facebook „ein Netz von mehreren hundert Konten“ benutzte, um seine Verbreitung von Propaganda „auszuweiten“.
Es wandte demnach diverse Taktiken an, um zu verhindern, dass die Inhalt entfernt werden. So würden Videos oftmals mit Nachrichtenmaterial etablierter Medien starten, bevor im späteren Verlauf zu extremistischem Material übergegangen wird.
Commerfords Nachforschungen zufolge wurden außerdem Hashtags mit COVID-Bezug in islamistischen Nachrichten verwendet, um arglose User anzulocken. Auch eine Facebook-Seite von Impfgegnern mit tausenden Mitgliedern sei von IS-Anhängern gekapert worden.
Rechtsextreme wissen das Internet für ihre Propaganda und Rekrutierung ebenfalls zu nutzen: So habe beispielsweise ein White-Supremacy-Kanal allein im März mehr als 6.000 neue User hinzugewonnen. Zeitgleich sei eine Gruppe zum Thema COVID-19 von 300 auf über 2.700 Benutzer angewachsen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]