Whistleblower tragen nicht nur dazu bei, unmoralische oder kriminelle Handlungen offenzulegen. Sie helfen auch, Täter abzuschrecken. Wie, zeigt eine neue Studie.
Panama Papiers, Luxleaks und Hinweise auf Steuertricksereien via Malta sind nur drei Beispiele: Die ersten beiden Fälle waren besonders brisant, und die an Zeitungen weitergegebenen Informationen trugen zu wesentlichen Fortschritten im Kampf gegen Steuerflucht und unlauteren Wettbewerb in Europa bei.
Bei den Panama-Papiere blieben die Whistleblower anonym, die Identität der Luxleaks-Aufdecker war hingegen bekannt, die Personen wurden rechtlich belangt. Doch unabhängig davon, wer auf welche Art solche Skandale aufdeckt – sicher ist, dass Whistleblower in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen haben, auf Steuerhinterziehung im großen Stil hinzuweisen.
Whistleblower enthüllen vertrauliche Informationen, um strafbare Handlungen wie Steuerhinterziehung zu offenzulegen. Manche nennen sie dafür „als Helden unserer Zeit“, so wie etwa Alfred de Zayas, UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprach im Juni mehr Maßnahmen zum Schutz von Whistleblowern. Bereits Anfang März hatte die Kommission eine europaweite Gesetzgebung zum „Schutz von Hinweisgebern“ angesprochen und eine öffentliche Konsultation zu dem Thema gestartet, die am 29. Mai endete.
Doch Whistleblowing hilft nicht nur, unmoralische oder kriminelle Handlungen aufzudecken. Es schreckt auch Täter ab, weil das Offenlegen unerwünschten Verhaltens auch integres Verhalten fördert, konnten Wissenschaftler nun zeigen. Dafür untersuchten Niels Johannesen von der Universität Kopenhagen und Tim Stolper vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen Datenlecks rund um Bankgeschäfte in Steueroasen – und stellten beispielsweise hinsichtlich der Liechtensteiner LGT-Bank Interessantes fest.
Für ihre Analyse untersuchten sie die Entwicklung in der Schweiz, dem weltweit größten Finanzplatz für die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung. Die Ökonomen beobachteten, wie die Aktienkurse von Schweizer Banken, die in Offshore-Steuerhinterziehungsgeschäfte verstrickt waren, auf insgesamt 13 öffentlich bekanntgewordene Datenlecks reagierten. Die Haupterkenntnis der Ökonomen speist sich aus Analysen zur sogenannten Liechtensteiner Steueraffäre, dem ersten bekanntgewordenen Datenleck einer in Steueroasengeschäfte verstrickten Bank.
Ein Mitarbeiter der Liechtensteiner LGT-Bank hatte Kundendaten kopiert und sie später an den deutschen Bundesnachrichtendienst verkauft. Die Liechtensteiner Steuer-CD brachte 2008 den Skandal um den ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel ins Rollen und rückte in den folgenden Wochen rund 800 weitere Verdächtigte in das Visier der Behörden. Und: Infolge des Datenlecks bei der LGT-Bank mussten auch Schweizer Banken, die in Geschäfte mit grenzüberschreitender Steuerhinterziehung involviert waren, signifikante Kursverluste hinnehmen. Zudem gingen die Bankeinlagen in Steueroasen im Vergleich zu Bankeinlagen in Hochsteuerländern um mehr als zehn Prozent zurück.
Datenleck senkte Gewinnerwartung
Die Aktienkurse von Schweizer „Steuerhinterziehungs-Banken“ verhielten sich in den zehn Handelstagen vor dem LGT-Leak unauffällig. In den ersten beiden Tagen nach den Enthüllungen fielen die Kurse jedoch marktbereinigt um 1,1 Prozent; in den vier darauffolgenden Tagen um insgesamt 2,2 Prozent und damit statistisch signifikant. Banken, die halfen, Geld vor den Finanzbehörden zu verheimlichen, mussten offensichtlich durch das Datenleck aus der LGT-Bank eine deutliche Senkung der Gewinnerwartungen hinnehmen.
Entsprechend der Theorie effizienter Finanzmärkte, wie sie Wirtschaftsnobelpreisträger Eugene Fama aufgestellt hat, reflektieren die Aktienkurse stets die verfügbaren Informationen und spiegeln den Nettobarwert der erwarteten zukünftigen Gewinne wider. Sie steigen, wenn es neue positive Informationen über zukünftige Gewinne gibt, und fallen, wenn neue negative Informationen auftauchen. Das lässt ich auch dahingehend interpretieren, dass die Finanzmärkte einen Rückgang der zukünftigen Gewinne aus kriminellen Offshore-Geschäften erwarteten.
Minderung der erwarteten Gewinne der Offshore-Dienstleister
Da es sich bei der Liechtensteiner Steueraffäre um das erste öffentlich gewordene Datenleck handelte, hatten Steuerhinterzieher und ihre Helfershelfer – so die Interpretation der Forscher – das Risiko, das von Datenlecks ausgeht, bis dato noch nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt.
Die erstmalige Wahrnehmung des Risikos eines Datenlecks oder zumindest die Wahrnehmung eines gestiegenen Risikos beeinflusste demzufolge Angebot und Nachfrage nach Steueroasengeschäften und minderte die erwarteten Gewinne der Offshore-Dienstleister. Doch Schweizer Banken, die in keinem Zusammenhang mit der Offshore-Steuerhinterziehung standen, erlitten keine Kursverluste.
Bankeinlagen in Steueroasen gingen weltweit zurück
Johannesen und Stolper beobachteten zudem, dass später aufgedeckte Steueroasengeschäfte, etwa die Swiss Leaks im Jahr 2009 oder die Panama Papers im Jahr 2016, die Kursentwicklungen der Banken nicht mehr signifikant beeinflussten. Auch das bestärkt ihre Hauptthese: Nach dem Bekanntwerden des ersten Datenlecks haben die Besitzer illegaler Konten und Briefkastenfirmen sowie ihre Helfer auf Bankenseite ihre Erwartungen angepasst.
Schließlich untermauerten Johannesen und Stolper ihre Hypothese zum abschreckenden Effekt des Whistleblowings noch mit Statistiken der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. So sanken unmittelbar nach dem Datenleck der LGT-Bank internationale Bankeinlagen in Steueroasen im Vergleich zu Bankeinlagen in Nicht-Steueroasen-Ländern weltweit um mehr als zehn Prozent. Das lässt darauf schließen, dass die Enthüllungen reale Konsequenzen hatten, nämlich eine abschreckende Wirkung auf Steuerhinterzieher und deren Helfershelfer.