Europas Regionen verändern sich. Die Bevölkerung wird immer älter, und sie „wandert“ – Städte wachsen, während ländliche Regionen immer mehr aussterben. Das bringt Probleme, etwa ächzen urbane Infrastrukturen unter der Belastung.
Die Wohnsituation in vielen europäischen Hauptstädten wird zur sozialen Frage. Arbeitsmärkte können das Überangebot an Arbeitskräften nicht auffangen, die Folge sind Verarmung und Obdachlose, soziale Systeme kommen unter Druck. Die Alterung der Gesellschaft schafft außerdem Probleme für das Pensionssystem: Immer weniger ArbeitnehmerInnen zahlen Beiträge für immer mehr BezieherInnen.
In Brüssel ist das Problem bekannt. Lösungen suchen unter anderem die Abgeordneten des Regionalpolitik-Ausschusses im EU-Parlament. Am Montag diskutierten sie, wie europäische Kohäsionsfonds gegen den demografischen Wandel eingesetzt werden könnten. Daraus soll ein Bericht entstehen, mit Vorschlägen an die Kommission.
„Diese demografischen Trends habe starke Auswirkungen auf alle lokalen Gemeinden“, sagt Daniel Buda (EVP), EU-Abgeordneter und federführend beim Bericht, in der Debatte am Montag. Sein Heimatland Rumänien ist besonders betroffen: Allein 2019 verließene 240.000 Menschen das Land, eine achtprozentige Steigerung im Vergleich zum Vorjahr.
Aber es betreffe quasi alle Mitgliedsstaaten, so Buda. Besonders seit der Finanzkrise 2008, die die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Ländern verstärkt habe, sei das Problem gewachsen. „Die Herausforderungen sind unterschiedlich“, so Buda. Arme Regionen leiden unter Unterbevölkerung, die Wirtschaft bricht ein und mit ihr die Infrastruktur. In wohlhabenderen Gebieten ist es genau andersrum: Zu viele Menschen für zu wenige Ressourcen.
Perspektiven vor Ort
Um dagegen vorzugehen, brauche es Instrumente, die „simpel, flexibel und attraktiv“ seien, so der Abgeordnete.
Die Menschen bräuchten vor allem Perspektiven vor Ort, dazu müsse die lokale Wertschöpfung angekurbelt werden. Allein der Ausbau des Breitband-Internets würde bereits zu Wachstum vor Ort führen, und damit zu Jobchancen, so Buda. Auch müsse die lokale Infrastruktur ausgebaut werden, etwa die öffentlichen Verkehrsmittel, um die Konnektivität ländlicher Regionen zu erhöhen.
Buda schlägt vor, neben dem Green Deal einen „Demographic Deal“ zu schaffen, ein Bündel an Maßnahmen mit dem Ziel, die Bevölkerung Europas wieder gleichmäßiger auf dem Kontinent zu verteilen. Darin könnte auch die Finanzierung festgelegt werden. Er begrüßt, dass die Kommission letzte Woche ein Konsultationsverfahren zu Maßnahmen gegen die Überalterung der Gesellschaft eröffnet hat.
Junge Frauen besonders bedroht
Auch Monika Vana, österreichische grüne REGI-Abgeordnete, unterstützt das Vorhaben. „Die europäische Regionalpolitik muss gezielt gegen die Überalterung in ländlichen Gebieten vorgehen“, sagt sie gegenüber EURACTIV Deutschland.
Dazu brauche es vor allem „zielgerichtete Infrastrukturprojekte“, um „ländliche Regionen auch für die junge Generation attraktiv zu gestalten“.
Besonderen Fokus will Vana auf junge Frauen legen, die besonders von der Corona-Krise betroffen waren. Wo Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, mussten viele ihren Beruf aufgeben, um die Kinderbetreuung zu übernehmen, während der Mann arbeiten ging – oft eine wirtschaftlich sinnvolle Überlegung, da Männer immer noch meist mehr verdienen.
„Zentral ist gerade für junge Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ländlichen Räumen zu verbessern“, so Vana. „Vom Breitbandausbau bis hin zu Bildungs-und Betreuungsangeboten besteht eindeutig Handlungsbedarf. Junge EuropäerInnen sollen in allen Regionen Europas Chancen bekommen.“
Erst die Forschung, dann das Vergnügen
Auch die Schattenberichterstatterin des Berichts, Cristina Maestre Martín De Almagro (S&D), hält Regionalpolitik für ein effektives Instrument gegen die demografischen Herausforderungen.
Sie fordert allerdings, nichts zu überstürzen: „Wir sind abhängig von tiefgehender Forschung, um effektive Maßnahmen zu setzen“.
So müsse man etwa definieren, was genau „unterbevölkerte Gebiete“ sind, „ohne dabei in Klischees zu verfallen“, so De Almagro. Sie schlägt dazu einheitliche Kriterien vor.