Viktor Orbán ist gerade erst vom Gipfel in Rom zurückgekehrt, da sorgt Ungarn mit seiner neuen Initiative „Let’s stop Brussels!“ für Aufruhr. Der Premierminister habe die Erklärung von Rom selbst unterzeichnet, wundert sich die Kommission. EURACTIV Brüssel berichtet.
„Let’s stop Brussels!“ (Lasst uns Brüssel aufhalten!), heißt es auf den Umfragebögen, die seit dem Start der Initiative am 1. April in Ungarns Briefkästen landen. Nur wenige Tage zuvor hatten Europas Staats- und Regierungschefs noch das 60-jährige Bestehen der Römischen Verträge gefeiert.
Mit dem Fragebogen bittet die ungarische Regierung ihre Bürger um Vorschläge, wie man mit EU-politischen Maßnahmen verfahren solle, die ihrer Meinung nach die Unabhängigkeit Ungarns bedrohen. Bei den sechs Fragen geht es um Themen wie die EU-Einwanderungspolitik und steuerliche Befugnisse.
„Was soll Ungarn tun“, lautet eine von ihnen, „wenn Brüssel Ungarn all den jüngsten Terrorattentaten in Europa zum Trotz […] dazu zwingen will, illegale Einwanderer aufzunehmen?“ Die Antwortoptionen: „Illegale Einwanderer sollten überwacht werden, bis die Behörden über ihren Fall entschieden haben“ und „Wir sollten illegalen Einwanderern gestatten, sich frei in Ungarn zu bewegen“.
Die Umfrage trägt den Titel „Nationale Befragung 2017“ und folgt auf dem Fuße der jüngsten Migrationsvorschriften, die Ungarns Regierung letzte Woche einführte. Diese gestatten es Behörden, Einwanderer für unbegrenzte Zeit in Container-Camps nahe der Grenze festzuhalten.
Andere Fragen befassen sich mit internationalen NGOs, die der Regierung zufolge illegale Einwanderung unterstützen oder in Ungarns Innenpolitik „eingreifen“.
Institutionen gegen Hauptstädte
Orbán habe die Erklärung von Rom unterzeichnet, so die Reaktion des leitenden Kommissionssprechers Alexander Winterstein. „Wir haben eine einzigartige Union mit gemeinsamen Institutionen”, zitiert er das besagte Dokument. Das „Wir“ stehe für die 27 Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Institutionen.
„Institutionen gegen Hauptstädte, so etwas gibt es nicht. […] Diese Dichtomie zwischen Institutionen und Brüssel auf der einen und Hauptstädten auf der anderen Seite existiert einfach nicht“, so Winterstein. Darüber hinaus verweist er auf die Worte des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Junckers vom 30. März auf dem EVP-Gipfel: „Es ist an der Zeit, dass überzeugte Europäer für Europa einstehen und damit aufhören, Brüssel-Bashing als innenpolitisches Werkzeug zu nutzen. […] Patriotismus ist eine gute Sache, aber Patriotismus ist nicht Patriotismus, wenn er gegen andere verwendet wird. Wir haben nicht das Recht, gegeneinander patriotisch zu sein.“
Orbán compared refugees to ants in his #EPPMalta speech and there was still no outcry- What does it take @EPPGroup ? https://t.co/GEsTEIGQHK
— Cas Mudde ? (@CasMudde) April 3, 2017
EVP-Solidarität
Junckers Aussagen beim EVP-Gipfel richteten sich jedoch an niemanden im Speziellen. Orbán selbst, ebenfalls EVP-Mitglied, nutzte die Bühne sogar, um die EU-Einwanderungspolitik und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzugreifen.
In den vergangenen Monaten ging Ungarns Regierung zunehmend scharf gegen NGOs vor, welche sie wiederholt als „politische Akteure“ und „bezahlte Aktivisten“ bezeichnete. Besonders zuwider laufen ihr die von George Soros, einem ungarischen Milliardeninvestor, geförderten Programme. So wird die von ihm gestiftete Central European University (CEU) höchstwahrscheinlich aus dem Land gedrängt werden.
1000's march in Hungary today to oppose Orban's attack on @ceuhungary. Liberal democractic values must prevail. #istandwithCEU pic.twitter.com/xBmY5AXAno
— Guy Verhofstadt (@GuyVerhofstadt) April 2, 2017
Auch ein Referendum richtete die Regierung bereits gegen die europäische Einwanderungspolitik aus. Das Vorhaben scheiterte jedoch an der geringen Wahlbeteiligung. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Ungarns EU-Kommissar Tibor Navracsics gegen die EU-Flüchtlingsverteilung gestimmt hatte. Jetzt ist er als Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport für den Fall der CEU verantwortlich.
EURACTIV befragte Winterstein, ob hier nicht ein Interessenkonflikt vorliege. Der Sprecher verneinte diese Andeutung.