Gestern hat der LIBE-Ausschuss des Parlaments sich dafür ausgesprochen, das Ausschlussverfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn einzuleiten. Das selbe Verfahren läuft bereits gegen Polen. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die geplanten Sanktionen in Kraft treten können.
Seit Jahren wird er debattiert, noch nie hat die EU davon vollends Gebrauch gemacht: der berüchtigte Artikel 7 des EU-Vertrages. Wird er angewandt und ein Verstoß gegen die Grundwerte der EU festgestellt, kann der Mitgliedsstaat sein Stimmrecht im Rat verlieren. Damit hätte das Land kein Mitspracherecht beim „letzten Wort“ der EU mehr.
Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Parlaments hat gestern beschlossen, das besagte Ausschlussverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Der Entwurf wurde mit 37 Ja-Stimmen und 19 Nein-Stimmen angenommen, im September soll das Plenum entscheiden, ob es der Empfehlung folgt. Seit Mai 2017 hatte der Ausschuss die Situation in Ungarn untersucht. Die Parlamentarier sind nun zu dem Ergebnis gekommen, dass Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und die Freiheit akademischer Institutionen unter der nationalkonservativen Regierung Victor Orbáns eingeschränkt sind. Außerdem ist man besorgt über Korruption und den Umgang mit Migranten im osteuropäischen Staat.
Ungarn hatte Hilfe für Migranten illegalisiert
„Die ungarisch Regierung hat beschlossen, alle internationale Warnungen und Empfehlungen zu ignorieren, die einen Schutz der grundlegendsten Elemente einer liberalen Demokratie bedeuten“, so Guy Verhofstadt, der Präsident der Fraktion der Liberalen und Demokraten (ALDE). „Ich rufe alle Mitglieder dieses Parlaments – unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit – dazu auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und Fidesz beim Versuch aufzuhalten, die ungarische Demokratie zu zerstören, bevor es zu spät ist“ erklärte Verhofstadt in einer Pressemitteilung zum Beschluss.
Erst letzte Woche hatte Ungarn das sogenannte „Stop-Soros“-Gesetzespaket verabschiedet, das es Personen und Organisationen bei Strafe untersagt, „widerrechtliche Einwanderung“ zu unterstützen. Selbst das Zustecken von Geld oder Auskünfte an Flüchtlinge könnten damit illegalisiert werden. Organisationen, die Einwanderung in irgendeiner Art fördern, sollen in Zukunft 25 Prozent ihrer Zuwendungen und Einnahmen als Sondersteuer bezahlen. Außerdem waren Änderungen am Grundgesetz vorgenommen worden, die eine Verteilung von Flüchtlingen nach einer EU-Quote endgültig verhindern sollen.
Für die SPD-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann ist das „nur die Spitze des Eisbergs“ in Ungarn. Es führe kein Weg mehr an Artikel 7 vorbei, wenn Ungarn auf diese Weise gegen das Fundament der Europäischen Union handele. „Wir dürfen es jetzt nicht bei deutlichen Worten belassen, es muss gehandelt werden“, fordert sie.
Ungarns und Polens gegenseitiges Veto-Versprechen
Mit der Einleitung des Verfahrens gegen Ungarn würden bald zwei Mitgliedsstaaten wegen Vertragsbruch geahndet. Im Dezember hatte die Kommission offiziell ein Verfahren gegen Polen eingeleitet. Das Land hatte unter der nationalkonservativen PiS-Partei innerhalb von zwei Jahren 13 Gesetze verabschiedet, welche die Unabhängigkeit der Judikative aus Sicht der Kommission faktisch abgeschafft haben.
Sollte die Mehrheit aller Parlamentarier im September für den Vorschlag des LIBE-Ausschusses stimmen, ist der Rat gezwungen, das Verfahren gegen Ungarn in Betracht zu ziehen. „Die Zeit der Gleichgültigkeit ist vorbei, die Kommission und der Rat können die Stimme des Parlaments nicht ausblenden“, meint Shadow Rapporteur Louis Michel (ALDE).
Ob es für Polen und Ungarn am Ende bis zum bitteren Schluss des Verfahrens kommt, ist allerdings fraglich: um eine Verletzung der EU-Werte offiziell festzustellen und somit Sanktionen zu erlauben, braucht es die Einstimmigkeit der Staats- und Regierungschefs, der betroffene Staat ist dabei ausgeschlossen. Polen und Ungarn haben sich für diesen Fall ein gegenseitiges Veto versprochen.