Ein Tag ohne Frauen

Laut aktuellen Eurostat-Berechnungen, die sich auf Daten von 2016 stützen, liegt der durchschnittliche Gender Pay Gap in der EU bei 16,2 Prozent. Nach Estland und Tschechien ist die Differenz EU-weit in Deutschland mit 21,5 Prozent am größten. [EPA-EFE/FERNANDO ALVARADO]

Am Freitag um 5 vor 12 streiken Frauen in weltweit über 50 Ländern. Damit wollen sie zeigen, dass das System ohne ihre Arbeit nicht funktioniert – und fordern einen Kurswechsel.

Wenn wir streiken, steht die Welt still. Nach diesem Motto mobilisieren die Veranstalterinnen von Frauen*streik in Deutschland dafür, dass Frauen am 8. März, dem Internationalen Frauentag, jede Arbeit weglegen. So soll darauf aufmerksam gemacht werden, welchen fundamentalen Beitrag Frauen für die Gesellschaft leisten – oft, ohne dafür die passende Anerkennung zu bekommen.

Immer noch verdienen Frauen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Laut aktuellen Eurostat-Berechnungen, die sich auf Daten von 2016 stützen, liegt der durchschnittliche Gender Pay Gap in der EU bei 16,2 Prozent. Nach Estland und Tschechien ist die Differenz EU-weit in Deutschland mit 21,5 Prozent am größten.

Ähnlich sieht es mit dem Anteil von Frauen in Führungspositionen aus – auch hier landete Deutschland im Jahr 2017 mit 29,4 Prozent im unteren Drittel. Seit 1997 hat sich die Situation nicht wesentlich verändert, damals waren 26,4 Prozent der deutschen Chefsessel weiblich besetzt.

„Lass alles liegen, nimm einen Stuhl, geh nach draußen. Setz dich vor deine Haustür, deinen Arbeitsplatz, in Parks, auf Straßen“, heißt es in dem Video, mit dem die Veranstalterinnen zum Streik aufrufen – am Freitag um 5 vor 12 Uhr mittags.

In Deutschland haben sich bereits über 40 Frauenstreiknetzwerke gebildet, mehr als 150 Aktionen wurden angekündigt. Kerstin Wulter, vom Berliner Frauenstreik erwartet, dass die tatsächliche Zahl dann noch um einiges höher liegen wird. „Die Dynamik, die sich entwickelt hat, ist unglaublich“, sagt sie zu EURACTIV. Auch der Austausch mit den Gewerkschaften funktioniere gut, man solidarisiere sich. Als Ziel für die nächsten Jahre nennt Wulter, dass auch die Gewerkschaften selbst aktiv zum Frauenstreik aufrufen.

Ähnliches passiert in den über 50 weiteren Staaten in aller Welt, die Teil der Organisation International Women Strike (IWS) sind – etwa Brasilien, Thailand, Australien und die USA.

Die internationale Vernetzung entstand im Rahmen der Planung für einen Aktionstag für den 8. März 2017. Als großes Vorbild diente ein historischer Frauenstreik in Island im Oktober 1975, als 90 Prozent der Frauen des Landes jede Arbeit stehen ließen und die gleichen Rechte wie Männer einforderten. Mit großem Erfolg – heute gilt Island als feministisches Musterland.

Dazu kamen Proteste aus dem Jahr 2016: Etwa der eintägige Streik von Frauen in Polen, die gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen protestierten. Oder der Aufschrei koreanischer Frauen gegen die Einführung von höheren Strafmaßen für Ärzte, die Abtreibungen durchführen. Auch die Protestmärsche in Argentinien gegen Gewalt an Frauen in Gedenken an den Femizid einer 16-Jährigen inspirierten die Veranstalterinnen dazu, einen globalen Streik zu organisieren.

Dabei geht es nicht zuletzt auch um den Anstoß einer Debatte über die kapitalistischen Strukturen, die die Gesellschaft dominieren und in denen Frauen oft die schlechteren Karten haben, wie die schwedische Frauenstreik-Organisation in einem Video klarmacht: „Für manche Arbeit bekommen wir ein Gehalt. Bei anderen Jobs wird erwartet, dass wir sie ohne Kompensierung erledigen.“ Kapitalismus brauche diese unbezahlte Arbeit, die zu Kapital für konkurrierende Firmen sowie Staaten gemacht werde. „Wir müssen gegen das System streiken“, so das Komitee in Schweden.

In Zukunft sollen größere Vernetzungstreffen stattfinden. „Die internationale Frauenorganisation formiert sich, jetzt auch in Europa“, sagt Lisa Steiner, eine der Veranstalterinnen in Österreich zu EURACTIV. Bisher waren etwa Vertreterinnen aus Spanien und Polen, sowie Organisatorinnen des Transnationalen Migrantinnenstreiks in Österreich, um von ihren Streikerfahrungen zu berichten und sich zu solidarisieren.

Von Spanien, wo am 8. März des vergangenen Jahres laut Gewerkschaften rund 5 Millionen Frauen auf die Straßen gingen, hätten sie etwa gelernt, dass die Vorbereitung eines solchen Großevents Zeit braucht: Fast drei Jahre arbeiteten die spanischen Organisatorinnen darauf hin, sagt Steiner. Auch, dass die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften mitunter mühsam sein könne, sei ein wichtiger Punkt gewesen. „Jetzt braucht es den Mut jeder einzelnen“, sagt Steiner.

In Österreich richtet sich der Streik vor allem auch gegen die aktuelle Regierung des Landes: Etwa treffe die Abschaffung der Notstandshilfe zu einem großen Teil Frauen und die Verlängerung des Arbeitstags auf bis zu zwölf Stunden mache es für Frauen um ein Vielfaches komplizierter, Arbeit und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Gegen derartige Veränderungen müsse man sich endlich tatkräftig wehren, so Steiner: „Da tut sich jetzt sehr viel und das ist erst der Anfang.“

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