Am Mittwochabend ist es zu einem unerwarteten Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen gekommen. Die britische Premierministerin Theresa May erhielt die Unterstützung ihres Kabinetts für den Entwurf eines EU-Austrittsabkommens – wenn auch nur knapp.
Heute früh wurde dann allerdings bekanntgegeben, dass Brexit-Minister Dominic Raab zurückgetreten ist. Raab selbst teilte mit, er könne die Bedingungen des geplanten Abkommens nicht „guten Gewissens“ mittragen.
Today, I have resigned as Brexit Secretary. I cannot in good conscience support the terms proposed for our deal with the EU. Here is my letter to the PM explaining my reasons, and my enduring respect for her. pic.twitter.com/tf5CUZnnUz
— Dominic Raab (@DominicRaab) November 15, 2018
Nach einer fünfstündigen Sitzung mit ihren Ministern konnte die britische Premierministerin gestern Abend verkünden, sie habe die volle Unterstützung, ihren Brexit-Plan voranzutreiben. „Das Kabinett hat kollektiv entschieden, dass die Regierung dem Entwurf des Austrittsabkommens und der politischen Rahmenerklärung zustimmen sollte“, teilte May vor ihrem Büro in der Downing Street mit.
Zuvor habe sie mit ihren Ministern eine „leidenschaftliche Debatte“ geführt, so die Premierministerin weiter. Ihr sei bewusst, dass sie nun weitere „schwierige Tage“ vor sich habe.
May räumte in ihrem kurzen Statement auch ein, dass sie auf noch deutlich stärkeren Widerstand stoßen könnte, wenn sie den Text im kommenden Monat dem gesamten britischen Parlament zur Genehmigung vorlegt. „Dies ist eine Entscheidung, die einer intensiven Prüfung und Debatte unterzogen werden wird. Das ist absolut verständlich, und genau so sollte es sein“, sagte sie mit Blick auf die bevorstehende Abstimmung im Parlament.
Streitpunkt Irland immer noch nicht geklärt
Von den 29 Mitgliedern der Regierung May sollen sich elf gegen den Entwurf ausgesprochen haben. Aktuell habe die Regierungschefin zwar eine Mehrheit im Kabinett, doch Beobachter warnen, dass noch diese Woche ein Misstrauensvotum der konservativen Abgeordneten gegen May eingereicht werden könnte.
Die Hauptbefürchtung der Kritiker ist weiterhin, dass das Vereinigte Königreich sich in der irischen Grenzfrage zu sehr an die europäischen Wünsche anpasst. Unter der sogenannten Backstop-Lösung nach dem britischen EU-Austritt könnten dann für die irisch-nordirische Grenze nach wie vor EU-Recht gelten, ohne dass die britische Regierung Mitspracherecht bei den Regelungen habe, so die Angst.
Darüber hinaus sieht die aktuell erarbeitete Austrittsvereinbarung auch die Möglichkeit vor, dass das Vereinigte Königreich die Übergangsfrist (die eigentlich vom Austritt am 29. März 2019 bis Ende 2020 laufen soll) verlängern kann. Dabei würde London allerdings weiterhin für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt bezahlen.
Barnier zufrieden mit Fortschritten
Nachdem Mays Kabinett grünes Licht gegeben hatte, folgten die EU-Führer. „Heute Abend bin ich in meiner Verantwortung als EU-Verhandlungsführer der Überzeugung, dass wir entscheidende Fortschritte erzielt haben,“ erklärte Michel Barnier am späten Mittwochabend in einem überfüllten Presseraum.
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, habe bereits den EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk informiert, der nun voraussichtlich einen Sondergipfel für die kommenden Tage anordnen wird. Das Abkommen stelle „einen entscheidenden Schritt zum Abschluss der Verhandlungen“ dar, so Barnier. Er betonte jedoch, dass damit das Ende der Austrittsverhandlungen noch immer nicht erreicht sei.
Das 585 Seiten umfassende „präzise und detaillierte“ Dokument, das die konkreten Bedingungen für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU festlegt, müsse noch von den verbliebenen 27 EU-Staaten sowie vom Europäischen Parlament abgesegnet werden, erinnerte er.
Guy Verhofstadt, der Brexit-Koordinator des EU-Parlaments, lobte die gestern erzielte Vereinbarung und sagte, sie werde es auch in Zukunft ermöglichen, „eine enge Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu pflegen“.
Die siebenseitige Erklärung zu den künftigen Beziehungen, die dem aktuellen Entwurf beigefügt ist, ist wenig detailliert, verpflichtet aber zu einem „ehrgeizigen Freihandelsabkommen“, das Finanzdienstleistungen sowie andere Dienstleistungen und Investitionen, die fortgesetzte Beteiligung des Vereinigten Königreichs am europäischen Markt und den weiteren freien Datenfluss umfasst. Je nach Fall werde auch in der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik weiter kooperiert.
Ratspräsident Tusk wird voraussichtlich am heutigen Donnerstag einen Sondergipfel fordern. Dieser könnte am 25. November stattfinden. Dem Gipfel wird intensive diplomatische Arbeit auf Sherpa- und Botschafterebene vorausgehen, damit das Abkommen Ende November tatsächlich vollständig abgeschlossen werden kann.
Die irischen, österreichischen und belgischen Premierminister gehörten zu den ersten, die sich bereits gestern noch zum erzielten Deal äußerten. Auch sie erinnerten daran, dass die Arbeit noch nicht abgeschlossen sei.
„Es ist noch ein langer Weg, aber ich glaube, dass der heute veröffentlichte Abkommensentwurf ein sehr solider Schritt auf diesem Weg ist,“ teilte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar mit. „Wir werden die Texte nun sorgfältig analysieren, um ihre Vereinbarkeit mit unseren europäischen Werten zu überprüfen,“ fügte sein belgischer Amtskollege Charles Michel hinzu.