Daheim im politischen Kleinkrieg, auf europäischer Ebene Mr. Nice Guy: Der scheidende belgische Premierminister Charles Michel, den die EU-Staats- und Regierungschefs als Nachfolger von Donald Tusk nominiert haben, könnte sich als eine unerwartete, aber geeignete Wahl erweisen.
Zehn Jahre nach Herman van Rompuy ist Belgien auf dem besten Weg, wieder einen europäischen Spitzenposten zu besetzen: Charles Michel soll am 1. Dezember EU-Ratspräsident Tusk ersetzen.
„Michel wird mit seiner Erfahrung als belgischer Premierminister ideal sein, um Konsens zu finden und die Einheit zwischen den Mitgliedstaaten zu stärken,“ sagte Tusk, nachdem sich die Staats- und Regierungschefs der EU gestern auf ihr „Personalpaket“ für die europäischen Spitzenjobs geeinigt hatten.
Mit seinem stark zersplitterten politischen System ist Belgien erfahren, was politische Krisen angeht; und der 43-jährige Michel gilt als besonnener und effektiver Schlichter in dem Land, das aufgrund von Sprache, Wohlstand und Politik gespalten ist.
Charles Michel ist der älteste Sohn von Louis Michel, einem ehemaligen belgischen EU-Kommissar, Minister sowie Parteivorsitzenden des frankophonen und liberalen Mouvement Reformateur (MR).
Der gelernte Jurist trat nach seinem Studium in Brüssel und Amsterdam als Provinzialberater in der Region Wallonisch-Brabant in die Politik ein.
Seitdem ist er zu einer der führenden Persönlichkeiten der französischsprachigen Liberalen Belgiens geworden und war bereits im Alter von 25 Jahren Parteivorsitzender und Minister – bevor er 2014 mit 38 Jahren der jüngste belgische Premierminister seit 1845 wurde.
Michel ist komplizierte Verhandlungen gewöhnt
Das belgische System sieht vor, dass eine Regierung aus Parteien aus beiden großen Sprachregionen bestehen muss – ein Prozess, der zwangsläufig teils obskure Kompromisse mit sich bringt und in der Vergangenheit nicht selten dazu geführt hat, dass Belgien über lange Zeiträume hinweg regierungslos war.
Während der politischen Krise 2010/11 stellte das Land einen Rekord auf, als es nach einer Wahl ganze 353 Tage dauerte, bis eine Regierung gebildet werden konnte.
Nach schwierigen Koalitionsgesprächen zwischen seinem MR, der konservativen CD&V, der liberalen Open VLD und der rechtsgerichteten flämisch-nationalistischen N-VA wurde Michel 2014 als Premierminister vorgeschlagen. Seine sogenannte „schwedische Koalition“ (blau für die Liberalen, gelb für die N-VA und das Kreuz für die CD&V) wurde auch als „Kamikaze-Regierung“ bezeichnet. Grund dafür war die Entscheidung, mit den flämischen Nationalisten zusammenzuarbeiten. Aus Sicht von Kritikern beschädigte diese Kooperation Michels politisches Ansehen, da er die strikte Anti-Migrantenpolitik der N-VA wirksam unterstützt habe.
Ende vergangenen Jahres verlor die Regierung Michel dann die Unterstützung der N-VA, da die Nationalisten unzufrieden mit der Unterzeichnung des Globalen Migrationspakts der Vereinten Nationen durch die belgische Regierung waren.
Michel versuchte daraufhin, mit den drei verbliebenen Koalitionsparteien als Minderheitsregierung fortzufahren. Er konnte sich aber nicht die notwendige Unterstützung des Parlaments sichern und musste zurücktreten.
Somit kam es zu Neuwahlen im Mai, wo insbesondere rechtsextreme Parteien einen Aufschwung erlebten – was die Regierungsbildung wiederum erschwert und eine neue Krise auslösen könnte.
In dieser Hinsicht ist die Nominierung für den Posten als EU-Ratspräsident für Michel eine gute „Ausstiegsmöglichkeit“ aus der belgischen Politik.
Gut vernetzt
Michel konnte während seiner Amtszeit als belgischer Regierungschef ein solides europäisches Netzwerk und persönliche Beziehungen zu vielen seiner EU-Kollegen aufbauen.
Zusammen mit dem luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte bildete er ein Trio liberaler Führer der Benelux-Länder, die ein Bild der Einheit und Konvergenz in wichtigen europäischen Themen vermitteln konnten.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte auf einer Pressekonferenz am Dienstag, er hoffe, dass sich Michel an der Spitze des Europäischen Rates für eine engere Zusammenarbeit bei verschiedenen Formaten „zur Wiederbelebung des europäischen Projekts“ einsetzen werde.
„Michel ist ein echter Europäer, der zudem aus einem Mitgliedsland der Eurozone und des Schengenraums kommt,“ erklärte Macron.
Michel war auch einer der ersten EU-Führungskräfte, der auf die osteuropäische Opposition gegen die Umverteilung von Geflüchteten reagierte, und in dieser Hinsicht erklärte, die EU könne sich zu einer „zweistufigen“ Union entwickeln, in der widerwillige Staaten wie Polen und Ungarn gewisse Rechte verlieren könnten.
„Einstehen für die Werte der EU“
Nach der Bekanntgabe seiner Nominierung sagte Michel gestern, er sei bereit, sich für die „Werte der EU“ einzusetzen.
„Die Ernennung zum Ratspräsidenten ist eine große Verantwortung und eine Aufgabe, die ich mit Engagement erfüllen werde. Mein Ziel ist eine vereinte EU, die auf dem Respekt der nationalen Vielfalt beruht,“ schrieb er auf Twitter.
Weiter teilte er mit: „Solidarität, Freiheit und gegenseitiger Respekt stehen im Mittelpunkt der EU. Ich werde für diese Werte einstehen.“
Être élu président du #EUCO est une grande responsabilité et une tâche que je remplirai avec détermination
Une Europe unie dans le respect de la diversité nationale sera mon objectif
La solidarité, liberté & le respect mutuel sont au cœur de l'UE. Je vais défendre ces valeurs pic.twitter.com/MEMUhQNUsx
— Charles Michel (@CharlesMichel) July 2, 2019
(Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins)