Nach der Ermordung der bulgarischen Journalistin Viktoria Marinowa steht das südosteuropäische Land unter wachsendem Druck, den Fall rasch aufzuklären. EU und Bundesregierung forderten am Montag eine schnelle und umfassende Untersuchung der Tat. Abgeordnete wollen eine Untersuchungsdelegation.
Die Staatsanwaltschaft in Sofia bekräftigte derweil, in alle Richtungen zu ermitteln. Die Leiche der 30-Jährigen war am Sonntag in der Stadt Ruse gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft wurde Marinowa vergewaltigt und starb durch Schläge auf den Kopf und Ersticken. Unter anderem wurden ihr Mobiltelefon und ihr Autoschlüssel gestohlen.
Die Journalistin arbeitete für den privaten Lokalsender TVN, wo am 30. September ihre Interviews mit zwei investigativen Journalisten ausgestrahlt wurden. Diese berichteten über ihre Recherchen zur mutmaßlichen Veruntreuung von EU-Geldern durch Geschäftsleute und Politiker.
Ob der Mord im Zusammenhang mit Marinowas beruflicher Tätigkeit stand, war am Montag unklar. „Wir gehen allen Hinweisen nach“, sagte der leitende Staatsanwalt Sotir Zazarow. Dazu zähle die Frage, ob es einen Zusammenhang zu Marinowas Arbeit gebe. Der Betreiber der Website Bivol.bg, für die einer der von Marinowa interviewten Journalisten arbeitet, sagte, die Ermordung sei eine „Exekution“ und solle als „Warnung“ dienen.
Marinowas Kollegen beim Sender TVN zeigten sich „schockiert“ über die Tat. Der Sender oder Marinowa selbst hätte niemals Drohungen erhalten, sagte ein Journalist, der anonym
bleiben wollte. Er und seine Kollegen fürchteten aber nun um ihre Sicherheit.
Derweil werden Forderungen laut, eine Delegation des EU-Parlaments nach Bulgarien zu entsenden. Dies schlug etwa der grüne Abgeordnete Sven Giegold vor. “Der grausame Mord an Marinova geht ganz Europa etwas an. Erst Malta, dann Slowakei, jetzt Bulgarien: Es ist nicht hinnehmbar, dass in Europa wieder Journalisten ermordet werden. Das EU-Parlament muss jetzt eine Ad-hoc Delegation nach Bulgarien schicken. Wir brauchen schnelle Aufklärung, ob der Mord in Zusammenhang mit Marinovas Recherchen über die Veruntreuung von EU-Geldern steht. Eine Delegation des EU-Parlaments sollte vor Ort schnellstmöglich Fakten sammeln.
Besonders pikant ist der Fall auch, weil Marinowa bereits die dritte Journalistin ist, die innerhalb eines Jahres in der EU ermordet wurde. Im Oktober 2017 wurde die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia bei einem Bombenanschlag getötet. Im Februar sorgte die Ermordung des slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten für Entsetzen.
Die Journalistenorganisation Reporter Ohne Grenzen sprach von einem „erschreckenden Trend“: „Immer häufiger werden auch in der Europäischen Union Journalistinnen und Journalisten ermordet, weil sie unangenehme Themen ansprechen“, erklärte Christian Mihr in Berlin. „Die EU darf nicht wegschauen.“ Der stellvertretende Präsident der EU-Kommission, Frans Timmermans zeigte sich via Twitter schickiert. Wieder sei ein engagierter Journalist beim Kampf für Wahrheit und gegen Korruption getötet worden.
Shocked by the horrendous murder of Victoria Marinova. Again a courageous journalist falls in the fight for truth and against corruption. Those responsible should be brought to justice immediately by the Bulgarian authorities.
— Frans Timmermans (@TimmermansEU) October 7, 2018
Bereits zuvor wurde Bulgarien aus Brüssel skeptisch beäugt. Eine Abkehr von den europäischen Werten wird befürchtet. Zuletzt stellte sich die Regierung in Sofia an die Seite Polens und Ungarns und kündigte an, Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen diese Länder nicht zu unterstützen. Nach dem Mord könnte Bulgarien selbst verstärkt in den Fokus geraten.Im diesjährigen Pressefreiheit-Index von Reporter ohne Grenzen lag Bulgarien auf Rang 111 von 180 Ländern. Schlechter schnitt kein anderer EU-Mitgliedsstaat ab.