Bei der Umsetzung von strikten Maßnahmen gegen COVID-19 scheinen die bulgarischen Behörden besonderes Augenmerk auf die Roma-Minderheit im Land zu richten. Angeblich seien viele Roma mit bulgarischen Pässen in den vergangenen Tagen aus Westeuropa zurückgekehrt. Es sei denkbar, dass sie sich im Westen mit dem Coronavirus infiziert hätten, so die Befürchtung.
In einigen Teilen Bulgariens gelten für zehntausende Roma bereits Maßnahmen, die an Kriegsrecht erinnern. Auf Seiten der Behörden herrscht Angst, die Angehörigen der Minderheit könnten die scharfen Regelungen und Ausgangseinschränkungen der Regierung ignorieren.
Für ganze Stadtviertel in Nowa Sagora, Kasanlak und Sliwen, in denen insgesamt mehr als 50.000 Roma leben, wurden Sondermaßnahmen verhängt. In diesen drei Städten haben die Stadtverwaltungen ein spezielles Kontrollsystem an den Ausgängen der Roma-Viertel eingeführt, um die Einheimischen daran zu hindern, ihre Wohngebiete in großen Gruppen zu verlassen.
Die aktuellen Anti-Coronavirus-Strategie in Bulgarien verbietet es, dass mehr als zwei Erwachsene an einem Ort im Freien gemeinsam unterwegs sind.
Bisher ist in den drei besagten Städten kein einziger COVID-19-Fall gemeldet worden. Allerdings ist bisher auch unklar, wie viele Menschen – wenn überhaupt – getestet wurden.
Die politische Kraft, die den Ruf nach strengeren Maßnahmen für die Roma-Gemeinschaften am lautesten erhebt, ist die nationalistische Partei VMRO, ein Junior-Koalitionspartner der konservativen GERB (EVP-Mitgliedschaft auf EU-Ebene) von Ministerpräsident Bojko Borissow.
Die VMRO stellt zwei Abgeordnete im Europäischen Parlament. Diese gehören der EKR-Fraktion an.
Die rechte Partei hatte zuvor gefordert, dass die Roma-Viertel im ganzen Land komplett isoliert und unter Quarantäne gestellt werden sollten, weil es „an Disziplin von Seiten ihrer Bewohner“ mangelt. Doch schon bevor die VMRO diese Forderungen stellte, war in Nowa Sagora ein Checkpoint-System für das Roma-Viertel „Schesti“, in dem fast 10.000 Menschen leben, sowie eine Ausgangssperre für Minderjährige verhängt worden.
Die zweifellos bestehenden zahlreichen Probleme im Viertel dürften indes nicht nur auf die „mangelnde Disziplin“ seiner EinwohnerInnen zurückzuführen sein, sondern beispielsweise auch auf die mangelnde Wasserversorgung und Kanalisation.
„Keine Diskriminierung“?
„Sie mögen sich diskriminiert fühlen, aber es gibt nichts dergleichen. Die Maßnahme hat [eine Diskriminierung] auch nicht zum Ziel. Grund ist, dass die Einwohner von Schesti nach der Einführung des Verbots [von Massenversammlungen] in großer Zahl in der Stadt umherzogen,“ erklärte der Bürgermeister von Nowa Sagora, Nikolai Grosew (GERB), gegenüber dem Fernsehsender bTV.
Er betonte dabei mehrfach: „Es gibt keine Diskriminierung. Es gibt nichts dergleichen, und die Maßnahme ist nicht dafür gedacht.“
In Sliwen sehen sich die rund 25.000 Roma aus dem Viertel Nadeschda derweil einer regelrechten Blockade gegenüber: Jeder, der das Viertel verlassen will, wird von der Polizei kontrolliert.
Auch in Kasanlak ist die Bewegungsfreiheit von Menschen aus dem Roma-Viertel Carmen eingeschränkt, wobei nur ein Durchgangspunkt für alle Bewohner der Nachbarschaft vorgesehen ist. Die Polizei ist dort rund um die Uhr im Einsatz und kontrolliert die Dokumente der Passierenden. Ziel sei es, den Zugang von Personen, die nicht offiziell im Viertel wohnen, so weit wie möglich zu vermeiden, teilte die Stadtverwaltung mit.
Das Innenministerium hat bereits die sogenannten Roma-Vermittler aufgefordert, eine Notfall-Aufklärungskampagne über das Coronavirus zu starten. Vergangene Woche hatte Innenminister Mladen Marinow bereits gedroht, die eingesetzten Vermittler sollten endlich ihre Arbeit erfolgreich erledigen, ansonsten würden die Roma-Viertel von der Außenwelt abgeschnitten.
Das größte Roma-Viertel des Landes befindet sich in der Stadt Plowdiw im Süden Bulgariens. In deren Roma-Viertel Stolipinowo leben fast 100.000 Menschen. Bisher (Stand 19. März abends) wurden dort jedoch keine mit Nowa Sagora, Kasanlak oder Sliwen vergleichbaren, drastischen Maßnahmen ergriffen.
Weitere Probleme gibt es indes in der Stadt Pernik, wo zwar deutlich weniger Roma leben, die mangelhafte Wasserversorgung es den Einheimischen aber erschwert, die Hygienevorschriften strikt einzuhalten. Pernik liegt nur 30 Kilometer von der Hauptstadt Sofia entfernt.
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 19. März bei EURACTIV Bulgarien.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]