Die „Kohlekommission“ ist heute zu Besuch in der Lausitz. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hofft, dass die Kohleregion ein europäisches Vorbild für den gelungenen Strukturwandel werden kann. Dazu ist er im Vorfeld nach Brüssel gereist, um sich mit anderen Kohleregionen auszutauschen.
Der Abschied der Lausitz aus der Braunkohle ist nicht nur eine regionale oder deutsche Sache, sondern eine europäische. So sieht es zumindest Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Daher ist er diesen Dienstag nach Brüssel gereist, um mit Vertretern anderer Braunkohlegebiete der EU darüber zu sprechen. „Beim Strukturwandel und der Transition zu erneuerbaren Energien reichen nationale Lösungen nicht aus. Wir brauchen gemeinsame, europäische Lösungen. Die EU muss Weltmeister im Klimaschutz werden, wir können uns nicht auf die USA oder China verlassen“, sagte Woidke gegenüber Euractiv.
Das Land Brandenburg hat sich im Dezember einer EU Plattform angeschlossen, welche als Vermittlungsebene zwischen Kohleregionen in den Mitgliedsstaaten dienen soll. Im gegenseitigen Erfahrungsaustausch sollen die Regionen sich gegenseitig unterstützen, einen sozialverträglichen Übergangsprozess aus der Kohleabhängigkeit zu schaffen.
Deutschland, meint Woidke, sollte dabei eine Vorbildrolle übernehmen. Wenn der Strukturwandel in Deutschlands kohlereichen Gebieten wie der Lausitz nachhaltig gelingt, könnte das ein Vorbild für die rund vierzig anderen Kohlegebiete in der EU werden. Man sollte zu einem positiven Narrativ beim Thema Kohleausstieg beizutragen. Denn Kohleausstieg, das sollte nicht Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten, sondern die Schaffung neuer Jobs.
Nicht über die Köpfe der Menschen hinweg planen
Beim Strukturwandel ist primär die Bundesregierung gefragt, denn diese Herausforderung übersteigt regionale Kapazitäten. Woidke wirft der Regierung allerdings schwere Vernachlässigung vor. Sie habe bisher rein gar nichts unternommen, um Arbeitsplätze zu sichern. Im Kraftwerk Jänschwalde wurde vorletzte Woche der erste Block abgeschaltet, in den kommenden zwei Jahren wird dort der Verlust hunderter Arbeitsplätze befürchtet. „Der Bund hatte drei Jahre Zeit, das vorzubereiten. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist aber keine einzige Initiative gekommen. Ich will erst einmal Alternativen sehen, bevor die Menschen nach Hause geschickt werden“, meint er.
Mit Blick auf die von der großen Koalition zusammenberufene „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, die heute in der Lausitz zu Besuch ist, meint Woidke, dass diese ihrem Namen gerecht werden müsste. Es geht nicht nur um die Verhandlung um ein Ausstiegsdatum, sondern es müssen debattiert werden, wie dieser Wandel nachhaltig und sozialgerecht gestaltet werden kann. Und das nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, sondern indem die vorhandene Expertise im Energiebereich genutzt wird. Doch der Aufbau einer neuen Industrie und dessen soziale, wirtschaftliche und strukturelle Implikationen sind vor allem eine finanzielle und damit eine politische Frage. Etwa 60 Milliarden Euro würde ein nachhaltiger Wandel in den drei deutschen Revieren nach Einschätzung von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff kosten. Der Koalitionsvertrag sieht in den nächsten Jahren eine Summe von 1,5 Milliarden für alle drei deutschen Gebiete vor – in den kommenden Jahren werden also noch viele Milliarden Euro anfallen.
Die Kohlelobby spricht weiter mit
Seitens der EU sind die Möglichkeiten, im Energiewandel der Mitgliedsstaaten einzugreifen, beschränkt. Energiepolitik ist eine nationale Angelegenheit. Doch der Strukturwandel kann zumindest in Teilen durch die regionalen Fördergelder der EU unterstützt werden. So hat die Lausitz nach Berechnungen der Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie in der derzeitigen Förderperiode 131,5 Millionen Euro aus den EU-Strukturfonds erhalten. Aber sie sind keine spezifischen Instrumente zur Förderung des Strukturwandels. Die Grünen im Europaparlament fordern daher die Verankerung eines spezifischen Programms für fairen Wandel im Rahmen des EFRE Fonds für regionale Entwicklung. Für Dietmar Woidke geht es vor allem um Flexibilität. Die Kommission müsse sicherstellen, dass ihre Fonds flexibel kombinierbar sind und nicht im Wettbewerb zueinander stehen.
Der heutige Besuch der „Kohlekommission“ in der Lausitz markiert das Ende der Experten-Anhörungen zum Strukturwandel. Noch vor Jahresende soll sie konkrete Vorschläge auf den Tisch legen. Letztendlich, das weiß auch Woidke, werden aber auch das nur Empfehlungen sein. Die entscheidenden Schritte wird die Bundesregierung einleiten müssen. Wie engagiert sie das tun wird, wird sich zeigen. In den letzten Jahren fiel Deutschland internationale eher als Bremser im Umweltschutz auf, der frühere Vorreiterstatus scheint verloren. Erst diese Woche stellte sich Deutschland bei den Verhandlungen zu Automobilemissionen bis zum Ende quer, um die eigene Industrie zu schützen.
Auch die Kohlelobby ist noch immer mächtig. Eigentlich sollten ab 2021 für Kohlekraftwerke strengere EU-Grenzwerte bei Schadstoffen wie Stickstoffoxid, Quecksilber und Rußpartikel gelten. Dagegen hatten deutsche Energieunternehmen wie die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) geklagt. Und die Bundesregierung hat angekündigt, ihre Entwürfe für neue Immissionsschutz-Verordnungen erst im Frühjahr 2019 vorzulegen. Wann diese dann in Kraft treten sollen, bleibt offen.
Gegenüber den Vertretern anderer Kohleregionen in der EU spricht Brandenburgs Ministerpräsident vom Besuch der Kohlekommission, von ihren Aufgaben und von seinen Erwartungen an die Bundesregierung. Vor allem, sagt er, müsse man jetzt raus aus der theoretischen Phase und mit Pragmatismus beginnen.