Beim Sonder-EU-Rat am kommenden Sonntag (30. Juni) wird Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein dem Mehrheitsvorschlag folgen. „Extratouren“ oder ein Ausscheren aus der allgemeinen Linie werde es von ihr nicht geben. Bei der Nominierung des Österreich zustehenden EU-Kommissars macht sie aber eine Ausnahme. Eine Chronik von Herbert Vytiska.
Personalentscheidungen und politische Weichenstellungen auf EU-Ebene wolle man generell der nächsten Regierung überlassen, heißt es aus Kreisen der Interimsregierung. Denn: „Wir sind keine Politiker.“
Nur in einem Punkt macht die provisorische Regierungschefin eine Ausnahme. Und das betrifft die Nominierung des Österreich zustehenden EU-Kommissars. Diesbezüglich sei es ihr erklärtes Ziel, einen Konsens mit dem Parlament zu finden, erklärte Bierlein. Bis Ende Juli muss darüber eine Entscheidung fallen, heißt es weiter in Wien.
Spekulationen, wonach Johannes Hahn, der bereits die zweite Legislaturperiode als Kommissar tätig ist, erneut entsandt werden könnte, hat die SPÖ eine Absage erteilt – unter anderem mit der Begründung, dass seit Österreichs EU-Beitritt 1995 nur ÖVP-Politiker in der Kommission waren.
Allerdings gestaltet sich die Suche nach einem Kandidaten, der vor allem die Zustimmung sowohl von ÖVP als auch von SPÖ (eine dieser Parteien wird der nächsten Regierung sicherlich angehören) findet, als schwierig.
Kein Kandidat ist mehrheitsfähig
Bei ihrem Erstauftritt vor dem EU-Rat vergangene Woche wurde Brigitte Bierlein nicht nur mit der üblichen Umarmung von Kommissionspräsident Jean Claude Juncker empfangen, sondern zugleich Zeugin der inneren Zerrissenheit in mehrere Lager.
Aus Diplomatenkreisen heißt es dazu, ein Ausweg dürfte wohl nur dann zu finden sein, wenn ein komplett neuer Name für die Juncker-Nachfolge zur Diskussion gestellt wird. Der muss allerdings das Placet der Parlamentsmehrheit finden und daran führt kein Weg vorüber. An Spekulationen über mögliche Personen will sich Bierlein erst gar nicht beteiligen.
Auf die immer wiederkehrende Frage nach Angela Merkel wird dazu betont, die deutsche Kanzlerin habe sich so entschieden gegen eine Übersiedlung von Berlin nach Brüssel zur Wehr gesetzt, dass eine Korrektur dieses Entschlusses nicht denkbar scheint.
In einem Punkt hat die österreichische Regierungschefin allerdings Farbe bekannt, nämlich beim Klimaschutz. So hat sie nach der EU-Ratssitzung öffentlich bedauert, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag nicht auf die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 einigen konnten: „Ich hätte mir mehr gewünscht“.
Zurückhaltung
Vor einem Monat war Brigitte Bierlein noch Wenigen bekannt. Am 3. Juni wurde sie von Bundespräsident Alexander van der Bellen als Übergangskanzlerin angelobt. In nicht einmal drei Wochen hat sie es zur beliebtesten Politikerin in Österreich geschafft.
Und das, obwohl sie politisch wenig bewerkstelligen will. An sich gibt sie keine Interviews und auch nach dem Ministerrat gibt es derzeit kein Pressefoyer. Das begründet sie auch: „Sie wissen, wir haben eine außergewöhnliche Situation. Wir sind keine Regierung in der üblichen Form, weil wir das Mandat vom Herrn Bundespräsidenten haben, aber kein indirektes Mandat der Wählerinnen und Wähler.“
Daher haben auch die Regierungsmitglieder eine klare Anweisung bekommen: „Die Bundesregierung und ihre Mitglieder üben sich in Zurückhaltung und Bescheidenheit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb der Ressorts sowie im Außenauftritt.“
Die Republik wird nur verwaltet
Bis zur Bildung einer neuen Regierung mit Wählerauftrag wird es jedenfalls keine eigenen Regierungsvorlagen und nur Gesetze geben, bei denen es darum geht, „Schaden von der Republik abzuwenden“.
Wenn auch nicht offen, so gibt es indirekt Kritik an der empfundene Flut von Gesetzesvorlagen, die nun im Parlament als Folge des „freien Spiels der Kräfte“ behandelt werden müssen. Bierlein gesteht zu, ebenfalls davon überrascht gewesen zu sein.
Die Übergangsregierung wolle eigentlich nur das von der ÖVP-FPÖ-Regierung noch beschlossene Budget fortschreiben. Die jüngsten Beschlüsse würden das Budget aber bereits mit 100 Millionen Euro zusätzlich belasten.