Neue EU-Kommission: E-Mail aus Athen sorgt für Kopfschmerzen

Die von Euractiv eingesehene E-Mail wurde an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola und den EU-Justizkommissar Didier Reynders gesendet. [Photo illustration by Esther Snippe for Euractiv. Photo credit: Shutterstock, EPA, and Getty Images.]

Eine E-Mail an die Präsidenten der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments sorgt im Vorfeld der Anhörung des griechischen Kommissarskandidaten Apostolos Tzitzikostas für Unruhe. Der Inhalt der Nachricht könnte die bevorstehende Ernennung zum EU-Verkehrskommissar erschweren.

Die von Euractiv eingesehene E-Mail wurde an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola und den EU-Justizkommissar Didier Reynders gesendet.

Absenderin ist Maria Karystianou, die Vertreterin der Eltern der Opfer des sogenannten Tempi-Unfalls – dem tödlichsten Zugunglück Europas.

Das Unglück

Im Jahr 2023 starben 57 Menschen – hauptsächlich junge Studenten – bei einem Zugunglück in Tempi, Zentralgriechenland.

Seitdem steht das Thema in Griechenland im Fokus, da der nationale Gerichtsprozess gegen die Verantwortlichen des Tempi-Unfalls nur schleppend vorangeht.

Die Angehörigen der Opfer sowie die Oppositionsparteien werfen der Regierung vor, den Fall vertuschen zu wollen. Die konservative Regierung unter Kyriakos Mitsotakis (EVP) beharrt darauf, dass es keine politischen Verantwortlichkeiten gebe und dass es der Justiz obliege, den Fall zu untersuchen.

Das Thema hat jedoch auch in Brüssel Aufmerksamkeit erregt.

Insbesondere die EU-Chefanklägerin Laura Kövesi leitete bereits vor dem Unfall eine Untersuchung zu einem von der EU finanzierten „717-Vertrag“ aus dem Jahr 2014 ein, der die Modernisierung des Signalisierungs- und Fernsteuerungssystems der griechischen Züge zum Ziel hatte.

Die Behörden in Brüssel untersuchen mögliche Korruption und den Missbrauch von EU-Geldern.

Kövesi hat auch öffentlich bekannt gemacht, dass die griechischen Behörden ihre Ermittlungen behindern. In einem Brief an die EU-Kommission forderte sie, eine Bestimmung in der griechischen Verfassung zu ändern, die Politikern Immunität gewährt.

Experten haben darauf hingewiesen, dass der Unfall möglicherweise hätte vermieden werden können, wenn modernen Signalsysteme in Betrieb gewesen wären.

Das Thema rückte erneut in den Vordergrund, nachdem die regierende Nea Dimokratia (EVP) das Verkehrsressort in der nächsten EU-Kommission beanspruchte.

Euractiv berichtete im August über Athens Bitte und betonte, dass der Kandidat Tzitzikostas – derzeit Gouverneur der griechischen Region Zentralmakedonien – aufgrund des Zugunglücks eine schwierige Anhörung im EU-Parlament haben wird, auch wenn er persönlich nicht involviert war.

Griechenland nimmt EU-Verkehrsressort ins Visier

Griechenland hat sich in der neuen europäischen Legislaturperiode stark für den Verkehrsbereich eingesetzt. Laut Quellen aus Athen und Brüssel will die griechische Regierung sich nun das Verkehrsressort in der kommenden EU-Kommission sichern.

Die E-Mail

In ihrer E-Mail fordert Karystianou, eine Kinderärztin, die bereits zweimal im EU-Parlament zu dem Zugunglück gesprochen hat, die EU-Führungsebene auf, die Wahl des griechischen Kandidaten zu überdenken.

„Wie ist es möglich, dass die EU so verantwortungsvolle Posten im Bereich der europäischen Verkehrssicherheit und -entwicklung an Politiker vergibt, die mit einer Regierung in Verbindung stehen, die in diesem Sicherheitsbereich in ihrem eigenen Land völlig versagt hat?“, fragte Karystianou.

„Die Angehörigen der 57 Opfer dieses schrecklichen Verbrechens suchen aktiv nach der Wahrheit unter den unzähligen Lügen, die von den Behörden verbreitet wurden […] Griechenland hatte lange Zeit enorme Probleme im Eisenbahnsektor, und anhaltende Sicherheitsverletzungen sowie Unterfinanzierungen trugen zu wiederholten Vorfällen bei. Der tragische Vorfall in Tempi ist das verheerendste Ergebnis dieser langjährigen Probleme“, fügte sie hinzu.

Karystianou – die über 1,5 Millionen Unterschriften in einer Petition zur Aufklärung des Unfalls gesammelt hat – verwies auch auf den „717-Vertrag“ und betonte, dass das Scheitern dieses wichtigen Infrastrukturprojekts entscheidend zur Verschlechterung der Eisenbahnsicherheit beigetragen habe.

„Letzte Woche drang ein Baum in das Führerhaus eines Zuges mit Hunderten von Reisenden ein, und zwei Züge stoppten in letzter Minute, nachdem bemerkt wurde, dass sie sich auf einer einspurigen Strecke aufeinander zu bewegten“, erklärte sie.

Sie betonte, dass Kövesis Untersuchung die „tief verwurzelten Probleme“ in der griechischen Verkehrsinfrastruktur aufzeigt, die das Leben der Menschen gefährden.

„Mit dem laufenden Gerichtsverfahren, der aktuellen Untersuchung des Vertrags 717 und den ungelösten Fragen zur Eisenbahnsicherheit glaube ich, dass die Übernahme der Verkehrsverantwortlichkeiten das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Regierungsführung und die Verkehrsinfrastruktur schwer untergraben könnte“, heißt es in der E-Mail.

Karystianou kritisierte auch den griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis scharf.

„Nach dem Vorfall erklärte Kyriakos Mitsotakis, dass ‚alles‘ darauf hindeute, dass der Vorfall durch ‚menschliches Versagen‘ verursacht wurde, noch bevor überhaupt eine Untersuchung begonnen hatte […] Ich erinnere auch daran, dass die Behörden unmittelbar nach dem Vorfall versuchten, alle Beweise vom Ort des Geschehens verschwinden zu lassen: Dazu gehören chemische Beweise und menschliche Überreste.“

Die Verkehrsleitung im Europaparlament

Karystianou verwies auch auf die Tatsache, dass die regierende Nea Dimokratia-Partei (EVP) mit der Europaabgeordneten Eliza Vozemberg die Vorsitzende des Verkehrsausschusses (TRAN) im Europäischen Parlament stellt.

Letztere soll die kommende Anhörung vom griechischen Kommissarskandidaten leiten.

Karystianou zufolge wirft diese doppelte Vertretung Bedenken hinsichtlich „potenzieller Interessenkonflikte und der Frage auf, ob die notwendige Objektivität und Unabhängigkeit gewahrt werden kann“.

Euractiv erfuhr, dass der Justizausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments, der derzeit potenzielle Interessenkonflikte der Kandidatenkommissare untersucht, keine Stellungnahme zur doppelten Vertretung abgeben kann, da er sich auf den finanziellen Aspekt potenzieller Interessenkonflikte konzentriert.

Quellen aus der Fraktion links der Mitte des Europaparlaments teilten Euractiv jedoch mit, dass sie das Thema politisch im Parlament zur Sprache bringen werden.

[Berbeitet von Alice Taylor Braçe/Kjeld Neubert]

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