Die Europäische Kommission bereitet Alternativszenarien vor, wie vorgegangen werden sollte, wenn Ungarn und Polen tatsächlich bei ihrem Veto gegen den nächsten EU-Haushalt und den Recovery Fund bleiben sollten. Sie könnte Anfang kommenden Jahres neue Vorschläge unterbreiten, bestätigte ein hochrangiger EU-Beamter am Mittwoch.
Das „Hauptszenario“ der Kommission sei jedoch weiterhin, dass bis Ende kommender Woche eine Lösung gefunden wird. Am 10. und 11. Dezember treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU erneut, um das Veto der beiden Länder gegen das insgesamt über 1,8 Billionen Euro schwere Paket zu diskutieren.
Dieses umfasst den mit 750 Milliarden Euro ausgestatteten Recovery Fund zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sowie den Haushalt der EU für die kommenden sieben Jahre (den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen, MFR) in Höhe von 1,1 Billionen Euro.
Die Ministerpräsidenten Ungarns und Polens, Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki, haben ihrerseits hingegen betont, sie würden nur dann grünes Licht für das Paket geben, wenn die an die EU-Gelder geknüpften Auflagen in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit erheblich verwässert oder ganz gestrichen werden.
Doch auch wenn einer oder beide Mitgliedsstaaten an ihrem Veto festhalten sollten, sei man bei der Kommission in Bezug auf den Recovery Fund „ziemlich zuversichtlich“, dass eine Lösung gefunden und „recht schnell“ umgesetzt werden könne, so ein hochrangiger EU-Beamter. Schlimmstenfalls könnten die „Effekte“ des Fonds ohne Polen und Ungarn „vollzogen“ werden.
Die Kommission könnte demnach im Januar eine „Zwischenlösung“ auf Grundlage des EU-Rechts vorlegen. Zu den Optionen, die in Betracht gezogen werden, gehören eine offizielle „verstärkte Kooperation“ zwischen den willigen Mitgliedsstaaten oder ein System nationaler Garantien zur Absicherung der Kreditaufnahme von 750 Milliarden Euro für den Recovery Fund.
Der Beamte wollte zum aktuellen Zeitpunkt keine weiteren Einzelheiten darlegen und erklärte auch nicht, was in diesem Fall mit dem Anteil Ungarns und Polens am Recovery Fund geschehen würde.
Er bekräftigte aber: Selbst wenn die Mitgliedsstaaten gezwungen sein sollten, die Überbrückungslösung zu nutzen, könnten die entsprechenden Recovery-Gelder wie geplant bis zum nächsten Sommer an die EU-Länder weitergeleitet werden, nachdem die entsprechenden Ratifizierungsprozesse in den einzelnen Staaten abgeschlossen sind.
MFR: Schlimmstenfalls geht es mit dem alten Budget weiter
Der Widerstand Budapests und Warschaus erschwert außerdem den Übergang zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU und die Verabschiedung des Haushaltsentwurfs für 2021 im Rahmen dieses MFR.
Die Frist, bis zu der das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten eine Einigung über den nächsten Jahreshaushalt 2021 erzielen müssen, ist eigentlich der 7. Dezember.
Da es bis dahin jedoch wohl keine einstimmige Billigung für den neuen MFR von Seiten aller Länder im EU-Rat geben wird, wird die Kommission einen neuen Haushaltsentwurf für 2021 vorlegen müssen, der auf den Budgetobergrenzen des aktuellen MFR basiert.
Dieser Vorschlag stünde Anfang des kommenden Jahres bereit und müsste dann vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. Da es bei dieser erneuten Abstimmung also keine Veto-Möglichkeit mehr gibt, gilt es als sicher, dass der Not-Haushalt dann gebilligt wird.
Bis zur Verabschiedung des neuen Haushalts für das kommende Jahr würde die EU dann zum ersten Mal seit 1988 wieder das System der „vorläufigen Zwölftel“ nutzen müssen. Dies bedeutet, dass jeder Bereich des Not-Haushaltsplans monatlich mit einem Zwölftel der Mittel des Vorjahres oder des bisherigen Haushaltsentwurfs finanziert wird – je nachdem, welcher Betrag geringer ist.
Damit wäre die EU nicht in der Lage, im Rahmen der meisten ihrer Programme (wie beispielsweise Regionalentwicklung oder dem Wissenschaftsprogramm Horizon) neue Projekte zu finanzieren. Außerdem würden an einige Nettozahler in den EU-Haushalt keine der ihnen normalerweise zustehenden „Rabatte“ ausgezahlt.
Darüber hinaus dürften rund 25-30 Milliarden Euro an Kohäsionsfondsmitteln eingebüßt werden: Der Haushalt 2014-2020 hatte im Vergleich zum aktuellen Vorschlag der Kommission nämlich deutlich niedrigere Ausgaben-Obergrenzen.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]