Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am Dienstag die Entscheidung der Europäischen Kommission, Starbucks habe einen „selektiven Vorteil“ in den Niederlanden genossen, gekippt. In einem weiteren Urteil wurde aber die Einschätzung der EU-Behörde bestätigt, dass Fiat von einem rechtswidrigen Steuervorteil in Luxemburg profitiert hat.
Die EU-Wettbewerbsbehörde musste hinnehmen, dass das EU-Gericht ihren Beschluss ablehnte, laut dem Starbucks bis zu 30 Millionen Euro an Steuern in den Niederlanden zurückerstatten sollte. Bei einer weiteren gerichtlichen Entscheidung hatte die Kommission hingegen Erfolg.
Nach langwierigen Ermittlungen des ehemaligen Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia war die EU-Exekutive im Jahr 2015 zu dem Schluss gekommen, dass die Niederlande und Luxemburg konkrete Steuerregelungen erlassen hatten, die die von Starbucks bzw. Fiat gezahlten Steuern „künstlich senken“. Damit sei gegen die EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen verstoßen worden.
Sowohl die Niederlande als auch Luxemburg hatten die Entscheidung vor dem EU-Gericht angefochten.
Das endgültige Urteil in einem ähnlichen Fall, in dem es um einen Steuervorteil zugunsten von Apple in Irland geht, steht noch aus. Sollte das EU-Gericht den Ansichten der Kommission Recht geben, müsste der Technologiekonzern rund 13 Milliarden Euro an eingesparten Steuern nachzahlen.
„Jeder Fall hat seine eigenen Besonderheiten und beinhaltet komplexe Rechtsfragen. Wir werden die Urteile sorgfältig prüfen, bevor wir über mögliche weitere Schritte entscheiden,“ kündigte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einer Erklärung nach dem Urteil an.
Nach Ansicht der dänischen Kommissarin könnten die gestern getroffenen Entscheidungen künftig „wichtige Leitlinien für die Anwendung der EU-Beihilfevorschriften im Steuerbereich“ liefern. Die Kommission hat bisher noch nicht bestätigt, ob sie gegen das Urteil Berufung einlegen wird. In diesem Fall würde in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden.
Starbucks und Fiat
In der Rechtssache Starbucks/Niederlande führte das EU-Gericht aus, die Kommission habe nicht ausreichend nachweisen können, dass bzw. wie das Unternehmen aufgrund der 2008 von den niederländischen Behörden erlassenen Steuerregelungen einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt habe.
Die Kommission selbst war im Jahr 2015 zu dem Schluss gekommen, dass Starbucks im Einvernehmen mit der niederländischen Steueraufsicht von einer „künstlichen Verringerung“ der Steuerlast profitiert habe. So hatte Starbucks der Firma Alki die Lizenz für ein spezielles Kaffeeröstverfahren abgekauft. Aus Sicht der EU-Kommission zahlte Starbucks für diese Lizenz allerdings einen deutlich überhöhten Preis. Damit habe man die Betriebsausgaben erhöhen und so die Steuerlast senken wollen. Der Clou an der Sache: Alki ist eine Tochtergesellschaft der Starbucks Group.
Laut dem gestrigen Urteil konnte die EU-Wettbewerbsbehörde diesen Vorgang aber nicht ausreichend nachweisen.
In einem weiteren Urteil bestätigte das EU-Gericht indes die Entscheidung der Kommission über Fiat Chrysler Finance Europe, ein Unternehmen, das Finanzdienstleistungen für Transaktionen innerhalb des Automobilkonzerns Fiat erbringt.
Im Jahr 2012 war in Luxemburg eine neue Steuerregelung erlassen worden, die die Vorgehensweise der Gesellschaft bei der Festlegung von Preisen für ihre innerhalb des Fiat-Konzerns erbrachten Dienstleistungen unter den üblichen Marktpreisen erlaubt. Dies habe Einfluss auf die Profite sowie die entsprechenden Steuerzahlungen des Konzerns gehabt und führte nach Ansicht der Kommission zu einem „selektiven Vorteil“ für Fiat.
Das Gericht bestätigte gestern diese Einschätzung der EU-Wettbewerbsbehörde: Das spezielle Steuergesetz habe die tatsächlichen Steuerschulden des Unternehmens „im Vergleich zu der Steuer, die es nach luxemburgischem Steuerrecht eigentlich zu zahlen gehabt hätte“, gesenkt.
Gericht bestätigt „Armlänge“-Prinzip
Die Europäische Kommission hatte in beiden Fällen das sogenannte „Arm’s-Length-Prinzip“ angewandt, wonach bei der Berechnung der Steuerlast für Verrechnungen zwischen Konzerntöchtern Preise angesetzt werden müssen, die der „marktwirtschaftlichen Realität“ entsprechen und wie sie auch für voneinander unabhängige Unternehmen gelten würden.
Die EU-Behörde argumentierte weiter, durch bestimmte Regelungen im Steuersystem sei es sowohl Starbucks als auch Fiat ermöglicht worden, Preise zu vereinbaren, die „jeglicher wirtschaftlicher Rechtfertigung entbehren und durch die in unrechtmäßiger Weise Profite verschoben werden, um damit die Steuerlast für die Unternehmen zu senken.“
Nach Ansicht der EU-Kommission brachte dies beiden Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Firmen, die entsprechend ihrer tatsächlichen Gewinne besteuert wurden.
Luxemburg und die Niederlande hatten gerade diese Begründung angefochten. Ihrer Ansicht nach verstieß die Kommission damit gegen die „Steuerautonomie“ der EU-Mitgliedstaaten. In beiden Urteilen gab das Gericht jedoch der Kommission Recht: Die Anwendung des „Arm’s Length“-Grundsatzes sei korrekt gewesen.
„Die Urteile bestätigen, dass die Mitgliedstaaten zwar die exklusive Zuständigkeit für die Festlegung ihrer Gesetze über direkte Steuern haben, dies aber im Einklang mit dem EU-Recht – insbesondere der Vorschriften für staatliche Beihilfen – tun müssen,“ konnte Vestager ihrer (Teil-) Niederlage etwas Gutes abgewinnen.
Sie kündigte dementsprechend selbstbewusst an: „Die Kommission wird auch weiterhin aggressive Steuerplanungsmaßnahmen entsprechend der EU-Beihilfevorschriften prüfen, um festzustellen, ob diese Maßnahmen zu illegalen staatlichen Beihilfen führen.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]