Eineinhalb Jahre nach der Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová teilten slowakische Staatsanwälte gestern mit, die Ermittlungen hätten diverse weitere Verbrechen ans Licht gebracht, darunter vier Morde und weitere geplante Attentate.
Am gestrigen Montag enthüllten zwei Staatsanwälte ihre Ergebnisse im Fall Kuciak/Kušnírová auf einer extra dafür einberufenen Pressekonferenz.
Nach Angaben der Anwälte hatten mehrere Beamte aus verschiedenen staatlichen Behörden mit dem Unternehmer Marian Kočner kommuniziert, dem vorgeworfen wird, die Ermordung Kuciaks im Jahr 2018 „bestellt“ zu haben. Der Inhalt dieser Kommunikation gehe nach Ansicht der Staatsanwälte über die „normale Ausübung“ der Beamtenpflicht hinaus.
Insgesamt habe man fast zwanzig weitere Verbrechen während der Untersuchung entdeckt.
Vergangene Woche wurden vier Verdächtige offiziell damit belastet, vier Morde begangen und mindestens drei weitere geplant zu haben. Opfer sollten dabei der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt Peter Šufliarsky, der Sonderstaatsanwalt Maroš Žilinka und der ehemalige Innenminister Daniel Lipšic werden. Letzterer arbeitete später als Anwalt der Familie von Kuciak.
Einer der beiden Staatsanwälte deutete an, es sei nicht reiner Zufall, dass diese Morde nun aufgedeckt wurden. Weitere Details wollte er aber nicht nennen. Die vier Verdächtigen waren bereits im September 2018 verhaftet worden und werden nun voraussichtlich im November vor Gericht gestellt.
Leaks aus dem Ermittler-Team
Bei den Ermittlungen habe es immer wieder Probleme gegeben, da eigentlich geheime Informationen nach außen gedrungen seien, so der Anwalt weiter. Tatsächlich wurde das Ermittler-Team nach zahlreichen Leaks personell deutlich ausgedünnt. Nach Ansicht des Anwalts sei der Grund dafür: „Menschen, die von der Untersuchung nichts hätten wissen sollen, wurden informiert und gewarnt.“
Er kritisierte darüber hinaus auch die Medien: „Während der Untersuchung wurden – und werden – die Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden von Politikern und Medien ständig in Frage gestellt. Diese Angriffe sind ungerechtfertigt. Die Frage ist, wem und zu welchem Zweck sie dienen. Die Medien sind Teil eines manipulierenden Spiels geworden.“
Dem umstrittenen Geschäftsmann Marian Kočner wird derweil weiterhin vorgeworfen, den Tod Kuciaks angeordnet zu haben. Die slowakische Polizei analysiert aktuell seine Telefongespräche. Insgesamt gebe es mehr als zehntausend Nachrichten und Aufzeichnungen, die einer detaillierten Analyse bedürfen.
So habe Kočner Gespräche mit mehreren Vertretern der Justiz und anderer staatlicher Behörden geführt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft deute der Inhalt dieser Nachrichten darauf hin, dass weitere Verbrechen begangen wurden.
Vertrauen in die Behörden?
Ein Staatsanwalt bestätigte auch, dass einige Personen wohl von Polizeibeamten Informationen über Pressevertreter und Staatsanwälte erhalten haben. Er wollte sich aber nicht dazu äußern, wer die Daten aus den polizeilichen Datenbanken abgerufen und weitergegeben haben könnte.
Die neugewählte slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová erklärte in Reaktion auf die neuesten Enthüllungen: „Ich halte diese Informationen für sehr wichtig. Ich vertraue dem Ermittlungsteam und den beaufsichtigenden Staatsanwälten voll und ganz. Dies ist auch notwendig, damit die Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit aufrechterhalten können.“
Die Ermittler sind sich derweil weitgehend sicher, dass es sich bei dem Mörder Kuciaks um Miroslav Marček handelt, obwohl dieser zunächst nur als Fluchtfahrer erachtet worden war. Marček hat inzwischen ein entsprechendes Geständnis abgelegt. Die Tatwaffe wurde hingegen noch nicht gefunden.
Kuciak war im Februar 2018 ermordet worden, nachdem er Betrugs- und Korruptionsfälle aufgedeckt hatte, an denen unter anderem Kočner sowie Politiker der Smer-Partei des damaligen Ministerpräsidenten Robert Fico beteiligt waren.
Ein paar Monate vor seinem Tod informierte Kuciak die Polizei, Kočner habe ihn bedroht.
Der Korruptionsskandal löste Massenproteste in der Slowakei aus, die Fico im März 2018 letztendlich zum Rücktritt zwangen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]