Die Europäische Kommission will am morgigen Mittwoch eine umfassende Strategie verabschieden, die sicherstellen soll, dass die EU-Regierungen das Tourismusgeschäft auf koordinierte Weise wieder öffnen können. Die EU-Exekutive wird sich auch erneut zur kontroversen Debatte „Gutscheine oder Rückerstattungen“ äußern.
Geschlossene Grenzen, annullierte Flüge, verrammelte Hotels: Die Coronavirus-Pandemie setzt der Tourismusbranche in der EU arg zu. Da sich die Epidemie nun aber abzuschwächen scheint, steht bereits die Frage auf der Tagesordnung, wie man wieder zum touristischen Alltag zurückkehren kann.
Grenzöffnungen
Die von EURACTIV eingesehene Strategie der Kommission – die im Laufe des heutigen Tages von hochrangigen Beamten besprochen wird und dementsprechend noch abgeändert werden kann – empfiehlt einen Drei-Phasen-Ansatz für die Grenzöffnung. Demnach könnten Mitgliedstaaten „mit ähnlichen Gesamtrisikoprofilen“ ihre Grenzen gleichzeitig öffnen. Die Europäische Agentur für Seuchenbekämpfung (ECDC) werde eine Liste von Gebieten mit geringer Viruszirkulation erstellen, so dass die „pauschalen Quarantänemaßnahmen“ innerhalb des Schengenraums allmählich abgeschafft werden können.
Dabei wird betont, dass alle Entscheidungen ohne Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit getroffen werden müssen. Würde Österreich beispielsweise die Grenzmaßnahmen für Ankommende aus Deutschland lockern, würde dies für alle EU-Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik gelten, nicht nur für Deutsche.
In ihrer Strategie stellt die Kommission fest, dass das Virus die globale Tourismusindustrie in diesem Jahr bis zu 400 Milliarden Euro kosten wird. Daten der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Kommission sollen aufzeigen, welche EU-Mitglieder und Regionen von diesem prognostizierten Einbruch am stärksten betroffen sind.
Auch die Frage, wie Hygiene- und Social-Distancing-Maßnahmen mit einer Wiederaufnahme des Bahn-, Bus- und vor allem Flugverkehrs in Einklang gebracht werden können, wird in dem Mitteilungsentwurf behandelt. Auch in dieser Hinsicht wird ein koordinierter Ansatz gefordert, der keinen Mitgliedsstaat diskriminiert. Weiter heißt es, die Maßnahmen sollten risikobasiert, verhältnismäßig und „in Umfang und Dauer auf das zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendige Maß beschränkt“ sein.
Nachhaltiges Reisen
Das Kommissionsdokument enthält darüber hinaus Leitlinien für den Schutz von Angestellten im Transportwesen, potenzielle Reaktionen auf sich ändernde epidemiologische Bedingungen und einen Vorschlag für einen angepassten „Fonds für Naturschutz und Null-Umweltverschmutzung“.
Dieser Fokus auf den Nachhaltigkeitsaspekt des Reisens soll sicherstellen, dass der Sektor nicht zu allen seiner alten, stark umweltverschmutzenden Strukturen zurückkehrt. Beispielsweise soll die Nutzung erneuerbarer Energien in Hotels angeregt oder Ausflugsboote durch weniger umweltschädliche Schiffe ersetzt werden.
Der Strategieentwurf erwähnt auch „Vorsorgepläne“, mit denen die Auswirkungen einer potenziellen zweiten Viruswelle – oder einer anderen Krise – abgemildert würden.
Reisewillige können künftig eine von der JRC zusammengestellte interaktive Karte konsultieren, die die neuesten Grenzkontrollen, Gesundheitsmaßnahmen und andere Reisebedingungen aufzeigt. So soll den Bürgerinnen und Bürgern eine effizientere Reiseplanung (und gegebenenfalls eine Absage der Reise) ermöglicht werden.
Verbraucherschutz und Passagierrechte
Unter der Überschrift „Wahrung des Verbraucherschutzes bei gleichzeitiger Handhabung von Rückerstattungsansprüchen“ wird im Dokumententwurf auch das kontroverse Thema „Reisegutscheine oder Rückerstattungen“ angesprochen.
Der Hintergrund: Nach EU-Recht müssen Airlines bei Annullierung von Flügen den Passagieren eine vollständige Rückerstattung des Flugpreises anbieten. Die Regeln sehen zwar vor, dass stattdessen auch Gutscheine für künftige Reisen ausgestellt werden können, es bleibt jedoch den Verbrauchern überlassen, ob sie diese akzeptieren oder auf eine Rückerstattung bestehen.
Angesichts zahlreicher abgesagter Flüge droht dieses Recht auf Rückerstattung zu einer weiteren schweren Belastung für die ohnehin angeschlagenen Fluggesellschaften zu werden.
Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten und auch eine wachsende Zahl von EU-Parlamentsabgeordneten hatten die Kommission daher gebeten, eine vorübergehende Ausnahmeregelung zu diesem Grundsatz vorzuschlagen. So soll Reiseunternehmen und Fluggesellschaften geholfen werden, liquide zu bleiben und ausnahmsweise Gutscheine anbieten zu dürfen.
Die EU-Exekutive beharrt jedoch weiter darauf, dass Rückerstattungen ein Sicherheitsnetz für Fahr- und Fluggäste bleiben müssen. In der neuen Strategie wird allerdings ein aktualisiertes Regelwerk für Gutscheine vorschlagen, mit dem die Unternehmen diese so attraktiv wie möglich gestalten können: Dazu gehören Insolvenzschutz, Übertragbarkeit der Gutscheine sowie eine Garantie, dass sie nach Ablauf eines Jahres auch in bar zurückerstattet werden können.
Die Kommission betont weiter, der Schutz gegen Firmenpleiten solle auf nationaler Ebene organisiert werden.
Mit den neuen Regelungen wolle man das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger stärken – „worauf die Verkehrs-, Reise- und Tourismusbranchen ihre wirtschaftliche Erholung aufbauen sollten.“
Abschließend stellte sich die Kommission auch hinter die jüngste Forderung von Binnenmarktkommissar Thierry Breton, man solle zeitnah einen „EU-Tourismusgipfel“ organisieren.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]