Es ist sicherlich nicht die attraktivste, aber eine der entscheidenden Debatten für die nähere Zukunft der EU: Im Jahr 2020 sollten sich die EU-Länder, die Kommission und das Parlament auf den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der Union einigen. Dies dürfte weiterhin ein harter Kampf bleiben.
Das Europäische Parlament hat sich während der vorherigen Amtsperiode auf eine Verhandlungsposition geeinigt, die vom neugewählten Plenum im Oktober 2019 erneut bestätigt wurde. Drei Ratspräsidentschaften konnten jedoch keinen Kompromiss unter den EU-Ländern im Rat erzielen. Die Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen haben daher noch nicht einmal begonnen.
Die Mitgliedstaaten und die EU-Parlamentsabgeordneten werden sich in den kommenden Monaten dringend zusammensetzen und überlegen müssen, in welchem Umfang und in welche Politikbereiche die EU-Mittel im Zeitraum 2021-2027 fließen sollen.
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hat die Verhandlungsführung übernommen. Außerdem ist ein möglicher Sondergipfel im Februar angedacht. Michel wird diesen aber nur dann einberufen, wenn er bis dahin genügend Fortschritte sieht, um tatsächlich bald eine Einigung zu erzielen.
Der Belgier hat bereits eingeräumt, dass die Verhandlungen „äußerst komplex“ und „auch aufgrund der Brexit-Lücke die schwierigsten in der Geschichte der EU werden“ könnten. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission beläuft sich diese „Brexit-Finanzierungslücke“ auf 13 Milliarden Euro pro Jahr.
Der Ratspräsident wird im Januar eine Konsultationsrunde mit den Mitgliedstaaten einleiten, um die verschiedenen Positionen zu erörtern und dann an einem akzeptablen Kompromiss für die 27 verbleibenden EU-Staaten zu arbeiten.
Schon das dürfte keine einfache Aufgabe werden.
Viele Vorschläge, viele Probleme
Während die Entscheidung über den Haushalt in den Händen der Mitgliedsstaaten verbleibt – die einstimmig abstimmen müssen – ist allerdings auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Die EU-Gesetzgeber haben im November bereits gewarnt, dass sie ein „Friss oder Stirb“ des Rates nicht akzeptieren werden.
Michel hat daher schon Kontakt zu den für das Dossier zuständigen Ko-Berichterstattern im Parlament aufgenommen und will mit ihnen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Kompromiss im Rat auch für die Europaabgeordneten tragbar ist.
Die Europäische Kommission hatte ihrerseits bereits 2018 einen Vorschlag vorgelegt, in dem sie einen langfristigen EU-Haushalt mit einer Höhe von 1,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der gesamten Union vorsieht.
Das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs und die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, neue politische Prioritäten wie eine verbesserte Handhabung der Migration, die Förderung von Investitionen in Forschung und Innovation, die Stärkung der Verteidigungs- und Sicherheitssysteme der EU oder die Fortsetzung des Kampfes gegen den Klimawandel aufzunehmen, führten im Kommissionsvorschlag zu erheblichen Kürzungen bei der Kohäsionspolitik (minus sieben Prozent im Vergleich zum aktuellen MFR) und der Gemeinsamen Agrarpolitik (minus fünf Prozent).
Bisher bleiben sowohl die Größe des zukünftigen MFR als auch die Art und Weise, wie die Gelder verteilt werden sollen, eine wesentlicher Streitpunkt zwischen den Mitgliedsstaaten.
Die sogenannten „sparsamen Fünf“ – Österreich, Deutschland, die Niederlande, Schweden und Dänemark – plädieren für ein gekürztes Budget von genau einem Prozent des BNE. Als Hauptgrund nennen sie eine kleinere EU nach dem Weggang des Vereinigten Königreichs, dem zweitgrößten Beitragszahler zu den EU-Töpfen.
Gleichzeitig setzen diese Länder aber auch neue Prioritäten bei Investitionen – auf Kosten der traditionellen Schwerpunkte wie eben Kohäsion.
In der anderen Ecke finden sich die „Freunde der Kohäsion“: Spanien, Portugal, Griechenland, Bulgarien, Kroatien, Zypern, die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Sie sprechen sich für eine Fortführung der bisherigen Kohäsionspolitik und -finanzierung aus und fordern daher einen breiter angelegten Haushalt.
Einige dieser Länder sind dementsprechend der Ansicht, dass selbst der 1,1-Prozent-Vorschlag der Kommission nicht ausreichend ist, damit die EU ihre politischen Ziele erreichen kann. Dieser Ansicht stimmt auch das EU-Parlament zu: In Brüssel und Straßburg fordert man seit Längerem ein EU-Budget von mindestens 1,3 Prozent des BNE.
Vorschläge der Kommission
Der Vorschlag der Kommission war im Mai 2018 unter der Leitung von Jean-Claude Juncker vorgelegt worden. Seine Nachfolgerin, Ursula von der Leyen, hat in ihrem politischen Programm zwar ein Maßnahmenpaket zusammengestellt, das einiges an Finanzmitteln erfordert, gleichzeitig aber keine neuen Vorschläge für den langfristigen EU-Haushalt gemacht.
Von der Leyen räumte bereits ein, sie sorge sich bezüglich der von der finnischen Ratspräsidentschaft vor dem Dezember-Gipfel vorgeschlagenen „schweren Einschnitte“, machte andererseits aber auch keine Anstalten, den Vorschlag ihres Vorgängers in die entgegengesetzte Richtung zu ändern. Somit müssten die Gelder für ihre Initiativen innerhalb des bereits recht engen Finanzrahmens der Juncker-Kommission aufgebracht werden.
Eine der wichtigsten Maßnahmen von der Leyens ist der sogenannte „Mechanismus für eine gerechte Energiewende“ („Just Transition Mechanism“). Mit diesem sollen insbesondere die europäischen Regionen unterstützt werden, die bei der Energiewende hinterherhinken. Mit einem „Just Transition Fund“ erhält die Idee auch eine finanzielle Komponente.
Die Kommission will weitere Einzelheiten am 14. Januar bekanntgeben. Bereits klar scheint, dass bis zu 100 Milliarden Euro mobilisiert werden sollen. Darüber hinaus würde der Übergangsfonds in den Bereich Kohäsionspolitik fallen und somit auch Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds+ in Anspruch nehmen.
Dies wiederum wird höchstwahrscheinlich einen neuen Streit mit regionalen Entscheidungsträgern, den „Kohäsionsfreunde“-Staaten und dem EU-Parlament auslösen, die nicht wollen, dass die Regionalfinanzierung unter dem Energiewende-Fonds leidet.
Die sogenannte „Kohäsionsallianz“, die Vertreter regionaler Organisationen unter dem Dach des Europäischen Ausschusses der Regionen versammelt, mahnte bereits, neue Instrumente wie der Just Transition Fund und seine Haushaltsmittel sollten viel mehr „zusätzlich zu den bestehenden europäischen Struktur- und Investitionsfonds“ eingesetzt werden.
Unklarheiten bei GAP und Eurzonen-Haushalt
Während die Reform der „Verordnung über gemeinsame Bestimmungen“, die die Kohäsionspolitik regelt, auf gutem Wege zu sein scheint – EU-Rat und Parlament hatten im Dezember eine vorläufige Einigung über einen wichtigen Teil des Dossiers erzielt – wird die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik höchstwahrscheinlich nicht im Jahr 2020 abgeschlossen werden. Dabei dürften die MFR-Verhandlungen auch Auswirkungen auf die tatsächliche Ausgestaltung der GAP-Reform haben
Ein weiteres Fragezeichen im langfristigen Finanzplan der EU ist das sogenannte Haushaltsinstrument für Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz für die Eurozone, dessen Einzelheiten die Mitgliedstaaten ebenfalls noch ausarbeiten müssen.
Nach dem Vorschlag der gerade zu Ende gegangenen finnischen Ratspräsidentschaft könnte ein solches „Eurozonen-Budget Light“ bis zu 12,9 Milliarden Euro betragen. Dies wäre allerdings weit unter dem von Frankreich angestrebten Ziel von „einigen Prozentpunkten“ des BIP der Eurozone. Allerdings könnten die Länder der Eurozone im finnischen Vorschlag zusätzliche Mittel außerhalb des MFR bereitstellen.
So geht’s weiter
EU-Ratspräsident Michel will bald seine bilateralen Treffen auf technischer und politischer Ebene mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament beginnen, um „innerhalb der nächsten Wochen oder Monate“ eine Einigung zu erzielen.
Die Idee eines außerordentlichen Gipfels im Februar wurde im Dezember unter den Mitgliedsstaaten wiederholt geäußert. Michel betonte aber erneut, ein solcher Gipfel werde nur stattfinden, wenn es realistische Aussichten auf eine Einigung gebe.
Ein solcher Kompromiss sollte bestenfalls bis März vorliegen: Im April wird die Kommission dann voraussichtlich ihren Haushaltsentwurf für das Jahr 2021 vorlegen, der bereits Teil des nächsten MFR-Zeitraums bis 2027 wäre.
Das Parlament die EU-Exekutive aufgefordert, alternative Regelungen vorzuschlagen, um für die Begünstigten mehr Klarheit und Planungssicherheit zu schaffen, wenn sich die Mitgliedstaaten bis Ende März nicht einigen können.
Schließlich muss auch die Verordnung über die verschiedenen Programme fertiggestellt werden, damit der neue Haushalt in Kraft treten kann. Dafür bedarf es sowohl der Zustimmung des Rates als auch des Parlaments. Dutzende von Rechtsvorschriften stehen somit noch aus, da es noch keine entsprechenden Zahlen und Finanzrahmen für potenzielle Entwürfe gibt.
Und die Uhr tickt weiter.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]