Die Europäische Kommission bereitet die Einleitung eines neuen Defizitverfahrens gegen Italien vor. Dies sei eine Reaktion auf die mangelnden Bemühungen der italienischen Regierung zur Kontrolle der öffentlichen Ausgaben in dem hochverschuldeten EU-Land.
Ein EU-Beamter bestätigte gegenüber EURACTIV.com, die Kommission werde in den kommenden Tagen ein Schreiben an Rom richten, in dem sie ihre Absicht bekundet, einen Bericht auf der Grundlage von Artikel 126 Absatz 3 des EU-Vertrags zu erstellen.
Ein solcher Bericht stellt den ersten Schritt im Verfahren bei einem übermäßigen Defizit dar. Damit wird die Einhaltung des Schuldenkriteriums des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch Italien neu bewertet.
Das Schreiben könnte am kommenden Mittwoch verschickt werden, wenn die Kommission voraussichtlich ihre wirtschaftlichen und fiskalischen Empfehlungen für die EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht.
Das Vertragsverletzungsverfahren könnte zu einer Geldbuße von bis zu 3,4 Milliarden Euro (0,2 Prozent des BIP des Landes) gegen Italien führen. Zur Anwendung der Sanktion wäre allerdings die Zustimmung der EU-Finanzminister erforderlich.
Rom und Brüssel stecken schon länger in Streitigkeiten über den nationalen Haushalt Italiens. Bisher hat sich die italienische Regierung geweigert, den Anweisungen der EU zu folgen, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU begrenzt die Staatsverschuldung der Mitgliedstaaten auf 60 Prozent des BIP und legt einen fiskalischen Weg fest, um sie im Falle einer Überschreitung des Schwellenwerts wieder zu senken.
Die italienische Koalition unter der Führung der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen Lega hat bisher jedoch die Empfehlungen aus Brüssel ignoriert.
Italien liegt bei der Schuldenquote nach Griechenland an zweiter Stelle (135,2 Prozent des BIP werden für 2020 erwartet). Laut der Frühjahrsprognose der Kommission wird die Wirtschaft 2019 nur um 0,1 Prozent und 2020 um 0,7 Prozent wachsen.
Nicht das erste Mal
Es ist nicht das erste Mal, dass die EU-Exekutive einen solchen Bericht für Italien erstellt. Im Oktober vergangenen Jahres übermittelte die Kommission eine erste Mitteilung an Rom, nachdem die Regierung in ihrem Entwurf des Haushaltsplans für 2019 keine Anstrengungen zum Abbau der Staatsverschuldung des Landes unternommen hatte.
Daraufhin veröffentlichte die Kommission am 21. November einen Bericht und zeigte sich gewillt, ein Defizitverfahren einzuleiten.
Brüssel konnte sich jedoch letztendlich mit der italienischen Koalition im Dezember einigen, nachdem Rom einige Ausgabenpläne verschoben hatte, um damit die Schulden (etwas) besser im Zaum zu halten.
Dennoch pumpt die italienische Regierung immer mehr öffentliche Gelder in die Wirtschaft, was das Defizit im Jahr 2020 voraussichtlich wieder über die Drei-Prozent-Schwelle drücken wird.
Die Kommission geht nun davon aus, dass das italienische Defizit im nächsten Jahr 3,5 Prozent des BIP erreichen wird, verglichen mit 3,1 Prozent im letzten November.
Das Defizit wird durch ein sich verschlechterndes wirtschaftliches Umfeld und die von Rom angekündigten zusätzlichen Ausgaben verstärkt, darunter ein neues Grundeinkommen („Bürgergeld“) und eine Überprüfung der Rentenreform des Landes.
Pierre Moscovici, der für Wirtschaft und Finanzen zuständige EU-Kommissar, sagte Anfang Mai, er werde ab Juni die Einhaltung der EU-Vorschriften durch Italien bewerten.
Salvini unbeeindruckt
Während die italienische Wirtschaft für die EU, die Finanzmärkte und andere internationale Institutionen nach wie vor Anlass zur Sorge gibt, missachtet der rechtsextreme Lega-Chef Matteo Salvini die EU-Vorschriften weiterhin.
„Ich denke, dass die Italiener mir und der Regierung ein Mandat gegeben haben, um die Parameter, die zu beispielloser Arbeitsplatzinstabilität, Arbeitslosigkeit und Angst geführt haben, vollständig, ruhig und konstruktiv neu zu diskutieren,“ sagte Salvini am Montag laut der Nachrichtenagentur Bloomberg, die zuerst über das Thema berichtete.
Der jüngste Streit zwischen Italien und der Europäischen Kommission könnte zu neuen Turbulenzen auf den Märkten führen.
Salvini scheint derweil aber fester denn je im Sattel zu sitzen und konnte die Unterstützung der italienischen Wählerinnen und Wähler für die Lega noch verstärken: Am Sonntag wurde seine Partei mit 34,33 Prozent der Stimmen zum großen Gewinner der Europawahlen in Italien.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]