Ungarn und Polen haben die Verabschiedung des Siebenjahreshaushalts der EU und des Konjunkturfonds in Höhe von 1,81 Billionen Euro blockiert: Beide Länder stemmen sich sich damit weiterhin gegen den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der mit den EU-Mitteln verknüpft ist.
Das Veto – das am Donnerstag auf Ebene der nationalen Staats- und Regierungschefs noch aufgehoben werden könnte – erschwert die Bereitstellung dringend benötigter EU-Mittel in von der Krise schwer betroffenen Ländern wie Spanien oder Italien zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Pandemie weiter über Europa ausbreitet und die wieder eingeführten Lockdown-Maßnahmen eine wirtschaftliche Erholung weiterhin erschweren.
Die 27 Botschafterinnen und Botschafter der EU-Staaten in Brüssel hatten sich am Montag getroffen, um einer Reihe von Kompromissen zuzustimmen, die bereits zwischen dem Europäischen Parlament und der deutschen Ratspräsidentschaft als Vertreterin der Mitgliedsstaaten erzielt wurden.
Dazu gehören der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU in Höhe von fast 1,1 Billionen Euro sowie der 750 Milliarden Euro schwere Recovery Fund zur Bekämpfung der schwersten Rezession in der Geschichte der EU.
Das Paket beinhaltet allerdings auch den neuen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der die Aussetzung von EU-Zahlungen im Falle eines unsachgemäßen Umgangs mit EU-Geldern oder der Verletzung von EU-Grundsätzen ermöglichen würde („Konditionalität“).
Trotz des ungarischen und polnischen Widerstands gegen den Mechanismus wurde diese Rechtsstaatskonditionalität mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit im Rat gebilligt.
Als „Vergeltungsmaßnahme“ blockierten Budapest und Warschau am Montag den MFR und den Recovery Fund. In diesen beiden Fällen ist Einstimmigkeit erforderlich.
Das Veto wird am heutigen Dienstag bei einem Treffen der zuständigen Ministerinnen und Minister für europäische Angelegenheiten und/oder Außenpolitik der Staaten sowie am Donnerstag bei einem Video-Gipfel der Staats- und Regierungschefs diskutiert.
Widerstand von „zwei Mitgliedstaaten“
Sebastian Fischer, Sprecher der deutschen Ratspräsidentschaft, teilte per Twitter mit, die EU-Botschafter hätten „aufgrund von Vorbehalten zweier Mitgliedsstaaten nicht die notwendige Einstimmigkeit für die Einleitung des schriftlichen Verfahrens erreicht“.
Zudem muss das Eigenmittelverfahren durch die Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten, meist durch die nationalen Parlamente, abgeschlossen werden, was den Genehmigungsprozess mindestens bis zum nächsten Frühjahr weiter verlängern dürfte. Die Auszahlung des Großteils der EU Recovery-Mittel wird somit erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erwartet.
Auch der von der deutschen Ratspräsidentschaft ausgehandelte Kompromiss zum EU-Haushalt wurde im Coreper-Treffen der Botschafterinnen und Botschafter blockiert. Fischer sagte dazu erneut, zwei Mitgliedstaaten hätten „Vorbehalte“ bezüglich „eines Elements des Gesamtpakets“ geäußert, „aber nicht in Bezug auf die grundsätzliche Substanz der MFR-Vereinbarung“.
Bekannte Drohung
In einem zuvor versendeten Schreiben an die Kommission hatten Ungarn und Polen bereits damit gedroht, den Genehmigungsprozess für den MFR und den Recovery Fund zu blockieren, falls die Rechtsstaatlichkeitskonditionalität gebilligt würde. Man betrachte dies als einen Eingriff in die „nationale Souveränität“.
Der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs begründete das Veto damit, dass der aktuelle Kompromiss „im Widerspruch zu den Schlussfolgerungen des Rates vom Juli“ stehe, und verwies damit auf den Gipfel, auf dem die Staats- und Regierungschefs der EU den geplanten Haushalt beschlossen hatten.
Tatsächlich kamen in den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament weitere potenzielle Fälle hinzu, in denen EU-Gelder ausgesetzt werden könnten. Dazu zählt etwa eine Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz; außerdem soll der Konditionalitätsmechanismus eine „präventive“ Ausrichtung erhalten – was in den nationalistischen ungarischen und polnischen Führungen für Kritik sorgte.
„Die Frage ist, ob Polen […] einer politischen und institutionalisierten Versklavung unterworfen wird,“ behauptete der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro am Montag.
Widerstand in Zeiten der Krise
Derweil haben die wirtschaftlichen Auswirkungen der zweiten Pandemie-Welle die Europäische Kommission dazu veranlasst, ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr nach unten zu korrigieren. „Wir sind wieder in einer Krise“, sagte ein hoher EU-Beamter mit Blick auf das erwartete Veto aus Budapest und Warschau.
Auch der EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis der gestrigen Coreper-Sitzung. Er forderte die Mitgliedsstaaten auf, „politische Verantwortung zu übernehmen“ und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das EU-Haushaltspaket am Donnerstag zu verabschieden. „Hier geht es nicht um Ideologien, sondern um Hilfe für unsere Bürgerinnen und Bürger in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg,“ erinnerte er.
Es bleibt abzuwarten, wie das Veto der beiden Länder überwunden werden kann. Der Rat hat den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus eigentlich bereits gebilligt.
Die Kommission ist in jedem Fall der Ansicht, dass es die Aufgabe der deutschen Präsidentschaft ist, einen Ausweg aus der aktuellen Sackgasse zu finden.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]