Die europäische Tourismusindustrie bereitet sich aufgrund der anhaltenden Coronavirus-Krise auf dem Kontinent auf massive wirtschaftliche Einbußen vor.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus sind aktuell noch schwer absehbar. Ohne einen stetigen Besucherstrom von außerhalb des Blocks könnte jedoch allein die europäische Tourismusindustrie einen finanziellen Verlust von etwa einer Milliarde Euro pro Monat erleiden, schätzte der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Thierry Breton am Montag.
Besorgt über die sich abzeichnenden wirtschaftlichen Effekte hat das Bündnis European Tourism Manifesto, das die Interessen der europäischen Reise- und Tourismusbranche vertritt, am Dienstag eine Erklärung veröffentlicht, in der weitere Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen der COVID-19-Erkrankungen gefordert werden. „Die Unterstützung des Tourismus muss eine Priorität bei den Plänen zur Krisenreaktion und den Maßnahmen der betroffenen Volkswirtschaften sein,“ teilte das Bündnis mit.
Während derzeit Millionen von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stünden, liefen vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) Gefahr, ihren Geschäftsbetrieb einstellen zu müssen, heißt es in der Erklärung weiter.
Die Lobbygruppe begrüßte die umgehende Reaktion, die die Europäische Kommission am vergangenen Freitag (13. März) vorgelegt hatte, um die sozioökonomischen Auswirkungen des Coronavirus-Ausbruchs abzuschwächen.
In ihren Krisenbekämpfungsmaßnahmen versprach die EU-Exekutive, nicht ausgegebene Strukturfonds in Höhe von bis zu 37 Milliarden Euro zur Unterstützung der Gesundheitssysteme, von KMU sowie der betroffenen Sektoren und Arbeitnehmenden umzuwidmen. Die Kommission erwägt außerdem die Bereitstellung weiterer 28 Milliarden Euro an Strukturfondsmitteln.
„Wir fordern die sofortige Umsetzung dieser Maßnahmen, die durch zusätzliche Instrumente mit Schwerpunkt auf dem Tourismussektor verstärkt werden sollten,“ mahnte das Tourismus-Bündnis. Zu den weiteren potenziellen Maßnahmen sollten demnach befristete staatliche Beihilfen für den Tourismus- und Reisesektor, ein schneller und einfacher Zugang zu kurz- und mittelfristigen Krediten zur Überwindung von Liquiditätsengpässen, steuerliche Erleichterungen für KMU und der Schutz der Arbeitnehmenden vor Arbeitslosigkeit und Einkommensverlusten gehören.
Langfristig schlägt das Bündnis eine Vereinfachung der Visabestimmungen und die Senkung oder Befreiung von dazugehörigen Kosten vor, ebenso wie die Unterstützung wirtschaftlich angeschlagener Reise-Destinationen durch zusätzliche Werbung und Marketing. Damit sollen Touristen in Zukunft wieder angelockt und eine rasche Erholung nach der Krise gewährleistet werden.
Große Einbußen in den Mittelmeerländern
Italien, das aktuell vom Coronavirus-Ausbruch am stärksten betroffene Land Europas, wird voraussichtlich auch großen wirtschaftlichen Schaden erleiden, da es vor allem um Ostern herum an Einnahmen aus dem Tourismus mangeln dürfte. Alle Ostergottesdienste von Papst Franziskus – die normalerweise Zehntausende von Menschen nach Rom und in den Vatikan pilgern lassen – werden dieses Jahr ohne die Teilnahme der Gläubigen abgehalten, kündigte der Vatikan an.
Sollte die Situation länger anhalten und das Virus weiterhin Besucher aus aller Welt fernhalten, könnte Italien allein zwischen März und Ende Mai bis zu 7,4 Milliarden Euro an Einnahmen einbüßen, schätzt die Tourismus-Lobby Confturismo-Confcommercio.
Griechenland wird wohl ebenfalls unter den Auswirkungen des Coronavirus auf seinen wichtigen Tourismussektor leiden. Dieser macht etwa ein Fünftel der griechischen Wirtschaft aus und schafft mehr als ein Viertel der Arbeitsplätze, so das World Travel and Tourism Council mit Sitz in London. Auch in Spanien werde das Virus zweifellos „direkte Auswirkungen auf den Tourismus und auf viele weitere Sektoren der spanischen Wirtschaft haben,“ warnte die Staatssekretärin für Tourismus, Isabel María Oliver, gegenüber einer spanischen Nachrichtenagentur.
Unterdessen spürt Portugals Tourismusindustrie bereits die Auswirkungen des Coronavirus: 60 Prozent der Hotels an der Algarve melden Stornierungen. Laut den jüngsten offiziellen Daten trug der Tourismussektor im Jahr 2018 14,6 Prozent zum portugiesischen Bruttoinlandsprodukt bei.
Doch nicht nur am Mittelmeer, auch in Nordeuropa sorgt man sich: Für den Wintertourismus, einem der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige in Nordnorwegen, könnten die Maßnahmen zur Verlangsamung der Coronavirus-Ausbreitung fatale Folgen haben.
Viele Betreiber haben (befristete) Freistellungen angekündigt, während andere ihre Geschäftstätigkeit für den Rest der Saison bereits komplett einstellten, berichtete der Barents Observer am Sonntag.
Für die beliebten Touristenziele Lofoten, Vesterålen und Tromsø gelten in den kommenden zwei Wochen strenge Quarantänemaßnahmen.
[Bearbeitet von Samuel Stolton und Tim Steins]