Der Abbau der Staatsverschuldung sollte für Frankreich, Italien und Spanien oberste Priorität haben, mahnte die Europäische Kommission am Mittwoch bei der Vorstellung ihres Herbst-Finanzpakets. Gerade diese drei Länder hätten während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahre „ihre Finanzen nicht in Ordnung gebracht“, hieß es weiter.
Insgesamt laufen acht Länder Gefahr, dass ihre Haushaltspläne nicht mit den EU-Finanzvorschriften in Einklang stehen, aber „diejenigen, die uns am meisten beunruhigen, sind diejenigen mit hohem Schuldenstand und bei denen wir nicht sehen, dass [diese Schuldenstände] schnell genug abgebaut werden“, so der für den Euro zuständige Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis.
Frankreich, Spanien und Belgien weisen aktuell Schuldenquoten von fast 100 Prozent ihrer BIP auf, während Italien sogar auf 136 Prozent kommt. Die Länder würden somit nicht nur die EU-Schuldenregelungen nicht einhalten, sondern hätten vor allem „die günstigen Zeiten nicht ausreichend genutzt, um ihre Finanzen in Ordnung zu bringen“, kritisierte Dombrovskis weiter.
Nach EU-Recht müssen die Länder ihre Staatsverschuldung reduzieren, wenn diese 60 Prozent des nationalen BIP übersteigt.
Nach Einschätzung der Kommission planen die angesprochenen Länder im Jahr 2020 jedoch „entweder keine fiskalische Anpassung oder sogar eine fiskalische Expansion“. Dombrovskis erinnerte daran, dass ein hoher Schuldenstand die Länder anfälliger für potenzielle wirtschaftliche Schocks mache, und bat sie, dem Schuldenabbau daher Priorität einzuräumen.
Trotzdem hat die Kommission weder Frankreich noch Italien um eine entsprechende offizielle Anpassung ihrer Haushaltspläne gebeten.
Anders sieht es für Belgien und Spanien aus: Da die beiden Staaten bisher keinerlei finanzpolitische Änderungen vorgenommen haben, wurden Madrid und Brüssel aufgefordert, „so bald wie möglich“ eine vollständige und aktualisierte Aufstellung der geplanten Ausgaben vorzulegen. Das Problem dabei: Beide Länder haben aktuell nur kommissarische Regierungen, da nach den jeweiligen Parlamentswahlen noch keine neuen Führungskoalitionen gebildet werden konnten.
Auch die von Portugal, Slowenien, der Slowakei und Finnland übermittelten Pläne stehen nicht im Einklang mit den finanzpolitischen EU-Regeln. Die Kommission forderte die entsprechenden Regierungen daher auf, im Rahmen ihrer überarbeiteten Haushaltspläne „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, um künftig die Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erfüllen.
Andererseits betonte die Kommission erneut, dass Mitgliedstaaten mit einem gewissen fiskalpolitischen Spielraum – allen voran einmal mehr Deutschland und die Niederlande – weitere Investitionen fördern sollten.
Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici begrüßte „die ersten Schritte zu einer etwas expansiveren Haushaltspolitik“ Den Haags und Berlins. Dies sei „gut für diese Länder, aber auch für die Eurozone als Ganzes.“
Lob für Austerität in Griechenland
Im Rahmen des Herbst-Finanzpakets veröffentlichte die Kommission auch den vierten Bericht über die sogenannte „verstärkte Überwachung“, der Griechenland seit dem Ende seines dritten und letzten Rettungsprogramms im August 2018 unterliegt.
In dieser Hinsicht stellte Dombrovskis fest: „Griechenland ist auf dem besten Weg, sein finanzpolitisches Ziel von 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2019 zu erreichen.“ Der Vizepräsident lobte die Arbeit der griechischen Regierung zur Reduzierung sogenannter notleidender Kredite, zur Stärkung des Unternehmensumfelds und zur Steigerung der Investitionen.
Das Wirtschaftswachstum des Landes wird sich 2020 voraussichtlich auf 2,3 Prozent verstärken und damit über dem Durchschnitt der Eurozone (1,2 Prozent) liegen. „Wir hoffen, dass die griechischen Behörden diese Reformdynamik beibehalten und ihre ehrgeizige Agenda für zukünftige Maßnahmen umsetzen,“ fügte der Euro-Kommissar hinzu.
Wirtschaftskommissar Moscovici sagte weiter, es sei „bemerkenswert, wie weit Griechenland seit der Schuldenkrise – insbesondere seit dem turbulenten Sommer 2015 – vorangekommen ist“. Insgesamt halte er die Sparbemühungen des Land für eine „Erfolgsgeschichte“.
Die Eurogruppe wird die aktuelle Bewertung der Kommission im Dezember diskutieren, um dann über mögliche weitere Schuldenerlassmaßnahmen zu entscheiden.
Ruhe vor dem Sturm?
Nach Ansicht der EU ist die Eurozone damit nun deutlich gefestigter als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen Jahren: Zum ersten Mal seit 2002 befindet sich kein einziger Mitgliedstaat in einem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit; und neun Mitgliedstaaten weisen Haushaltsüberschüsse auf.
Angesichts des neu prognostizierten Defizits Italiens (0,3 Prozent des erwarteten BIP) und der expansiveren Finanzpolitik aus Den Haag und – in geringerem Maße – aus Berlin wird das Euro-Währungsgebiet im Jahr 2020 wohl einen Anstieg des strukturellen Defizits um 0,2 Prozent verzeichnen und damit eine „weitgehend neutrale Haushaltspolitik“ aufweisen.
Dennoch gibt es innerhalb des Blocks teils erhebliche Unterschiede. Angesichts des Abschwungs der europäischen und der Weltwirtschaft forderte die Kommission die Mitgliedstaaten daher „dringend“ auf, die bestehenden fiskalischen Instrumente zu nutzen, um sich auf die nahe Zukunft vorzubereiten.
„Für die Länder mit hohem Schuldenstand ist die beste Vorbereitung der Abbau dieser Schulden. Die Länder, die über einen gewissen Finanzspielraum verfügen, sollten diesen weiterhin nutzen,“ empfahl Vizepräsident Dombrovskis.
Moscovici verteidigte abschließend noch die von der Kommission in den vergangenen fünf Jahren geleistete Arbeit. Damit habe man gezeigt, „dass es möglich ist, das Haushaltsdefizit zu verringern und gleichzeitig das Wachstum zu fördern. Und wir konnten zeigen, dass Umsicht und Austerität nicht dasselbe sind,“ behauptete der scheidende Kommissar, der nicht Teil der neuen EU-Exekutive von Ursula von der Leyen sein wird.
„Wenn man die Regeln flexibel anwendet, kann man Fortschritte erreichen,“ fügte er hinzu. Derweil kommt es innerhalb der EU tatsächlich vermehrt zu Forderungen, den Finanzpakt der EU zu überarbeiten oder zumindest die Flexibilität zu erhöhen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]