Im Vorfeld des EU-Gipfels haben Diplomaten aus den Visegrad-Ländern die finnische EU-Ratspräsidentschaft scharf für ein Papier kritisiert. Mit diesem sollen die Diskussion der Staats- und Regierungschefs über den nächsten Siebenjahreshaushalt des Blocks unterstützt werden.
„Die finnische Präsidentschaft ist kein ehrlicher Vermittler“, so ein Visegrad-Diplomat gegenüber Journalisten. Ein weiterer Beamter nannte die finnischen Bemühungen, einen solchen Leitfaden zu produzieren, „letztendlich Zeitverschwendung“.
Die Visegradgruppe umfasst Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei.
Der erste Punkt auf der Tagesordnung des heute startenden, zweitägigen Gipfels (der aufgrund der Brexit-Verhandlungen voraussichtlich bis in den Samstagmorgen dauern wird) ist der „Mehrjährige Finanzrahmen“, also die laufenden Verhandlungen über den zukünftigen EU-Haushalt für den Zeitraum 2021-2027.
Im März verabschiedete das Europäische Parlament seine Stellungnahme zum Entwurf eines Haushaltsplans der Kommission für diesen Zeitraum. Im Juli folgte der Rat mit einem eigenen Standpunkt. Die Gespräche laufen nun. Ziel ist eine Einigung in der ersten Jahreshälfte 2020.
Der finnische Ratsvorsitz hatte daher ein zweiseitiges Papier vorbereitet, mit dem die heutige Diskussion erleichtert werden soll. Das Dokument basiert auf einem Fragebogen, den Finnland den übrigen Mitgliedstaaten im Juli übermittelt hatte, sowie auf bilateralen Konsultationen. In dem Papier heißt es, die Mitgliedstaaten hätten hinsichtlich des Gesamtbeitrags zum künftigen MFR unterschiedliche Ansichten. Dabei reichten die Vorstellungen von 1,00 Prozent des BNE der EU-27 bis zum Vorschlag der Kommission von 1,11 Prozent.
Darüber hinaus genieße der von der Kommission vorgeschlagene „modernisierte Ansatz“ zwar breite Unterstützung unter den Mitgliedstaaten, viele von ihnen hätten aber auch darauf hingewiesen, dass die Kohäsionspolitik und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) weiterhin in ähnlichem Maße unterstützt werden müssten wie bisher.
Die finnische Ratspräsidentschaft bleibt in ihrem Vorschlag bei einer „modernisierten Aufteilung der Politikanteile“: Rund ein Drittel für Kohäsion, ein Drittel für die GAP und ein Drittel für alle anderen Politikbereiche, mit Ausnahme der Verwaltung. Allerdings müsse es einen „ähnlichen Rückgang“ bei den Geldern für Kohäsion und GAP geben; gleichzeitig würden die Mittel für andere politische Prioritäten und neue Herausforderungen erhöht – allerdings auf einem niedrigeren Niveau als von der Kommission vorgeschlagen.
In Bezug auf „Konditionalität“ (die Verknüpfung von EU-Mitteln mit der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit sowie der gemeinsamen Migrations- und Klimapolitik) erkennt das finnische Papier an, dass bisher keine Einigung erzielt worden sei.
Insbesondere bei der Frage, ob Rechtsstaatlichkeit mit der Auszahlung von EU-Geldern verbunden werden dürfte, gebe es Meinungsverschiedenheiten. Ebenfalls unklar ist, ob es sich dabei um eine „geschlossene“ Liste von Bedingungen für die Auslösung des Mechanismus handeln sollte, oder um eine „offene“ Regelung, mit der flexibler auf Verstöße reagiert werden könnte.
Ein Diplomat aus einem Visegrad-Land sagte den anwesenden Journalisten, er hoffe, dass das finnische Papier nicht die Grundlage für eine Diskussion im Rat sein werde. Er erinnerte in dieser Hinsicht auch daran, dass „mindestens zwei der Visegrad-Länder“ eine derartige Konditionalität als „No-Go“ betrachten. Gleichzeitig räumte er allerdings ein, dass beispielsweise die Niederlande wohl keine Zustimmung zum neuen MFR geben werden, wenn dieser keine Konditionalität beinhaltet.
Ein anderer Diplomat aus Osteuropa betonte, das finnische Papier sei „vage“. Klar sei aber, dass Finnland „unsere roten Linien“ in Bezug auf Kohäsion und GAP überschritten habe.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]