Eine Gruppe von Mitgliedsstaaten ist bereit, ihre Beiträge zum EU-Haushalt zu erhöhen, um sicherzustellen, dass die Kohäsions- sowie die Gemeinsame Agrarpolitik gestärkt und neue Prioritäten ab 2020 angegangen werden können. Unter diesen Staaten sind sowohl Nettozahler wie auch -empfänger von EU-Geldern.
Vergangene Woche Mittwoch hatte die EU-Kommission ihren lang erwarteten Vorschlag für den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) des Blocks vorgestellt und damit den Verhandlungsprozess zwischen den Institutionen und den Mitgliedsstaaten gestartet. Aus Sicht vieler Experten könnte diese Verhandlungsrunde die komplizierteste in der Geschichte der EU werden.
Bei der Präsentation der Vorschläge erläuterte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die Kommission habe in ihrem Entwurf sowohl die Ansichten der Mitgliedstaaten als auch die ambitionierteren Forderungen des EU-Parlaments berücksichtigt.
Die Kommission schlägt die Bereitstellung von insgesamt 1.135 Milliarden Euro über den Sieben-Jahres-Zeitraum vor. Dies entspricht 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der 27 verbleibenden EU-Staaten und wäre eine Steigerung gegenüber der Einzahlungen von aktuell 1.0 Prozent.
Doch das, was Juncker als „realistisches Budget“ präsentierte, wurde von einigen Mitgliedsstaaten umgehend als inakzeptabel zurückgewiesen – insbesondere von denen, die zu den größten Netto-Beitragszahlern gehören.
So forderten Dänemark, die Niederlande und Österreich kurz nach Bekanntwerden der Kommissionspläne weniger Ausgaben und eine Festlegung des EU-Haushalts auf ein Prozent des BNE.
Gleichzeitig meldeten sich allerdings auch einige andere Staaten zu Wort, die einen größeren EU-Haushalt im kommenden Sieben-Jahres-Rahmen befürworten. Sie zeigten sich auch gewillt, ihre eigenen Beiträge gegebenenfalls zu erhöhen.
Größeres und ambitionierteres EU-Budget
Die Slowakei und die Tschechische Republik zeigten sich beispielsweise bereit, die Bedingungen für eine Aufstockung des EU-Haushalts nach dem Brexit zu erörtern, damit die wichtigsten europäischen Politikfelder ordentlich weiterbetrieben werden können. „Wir sind bereit, eine Aufstockung der Mittel für neue Prioritäten wie Sicherheit und Migration zu unterstützen“, sagte der amtierende tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš nach einem Treffen mit Haushaltskommissar Oettinger Anfang April.
„Ich denke, es muss immer eine Einigung geben, und alle Mitgliedstaaten müssen den gleichen Betrag oder den vereinbarten Prozentsatz des BIP beitragen“, erklärte der slowakische Premierminister Peter Pellegrini gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Griechenland gehört ebenfalls zu den Ländern, die einen ambitionierten Haushalt für den kommenden Sieben-Jahres-Zeitraum fordern. Diese Ambitionen sollten aus griechischer Sicht über das hinausgehen, was Brüssel vorschlägt. Dimitris Papadimoulis, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Parteimitglied der griechischen Syriza, betonte, dass die vom EU-Parlament geforderten 1,3 Prozent des europäischen BIP für den EU-Haushalt das Minimum seien. Er fügte hinzu: „Ich denke, wir müssen politische Maßnahmen wie Erasmus + oder Horizon2020 stärken und gleichzeitig nicht die Mittel für die Kohäsionspolitik und die Gemeinsame Agrarpolitik kürzen. Da neue Prioritäten und Ziele in Bezug auf Bekämpfung von Migration und Terrorismus hinzugekommen sind, müssen die Mitgliedsstaaten mehr tun.“
„Ein besseres Europa ist mit weniger Geld nicht möglich! Damit müssen wir umgehen“, forderte Kostas Hatzidakis, Vize-Vorsitzender der konservativen Nea Demokratia, der aktuell größten Oppositionspartei in Griechenland.
Auch Deutschland – das im Jahr 2016 rund 23,2 Milliarden Euro in den EU-Haushalt einzahlte; abzüglich der rückfließenden Rendite immerhin noch 13 Milliarden Euro netto – ist unter bestimmten Voraussetzungen bereit, mehr beizutragen. „Wir sind bereit, unsere Verantwortung für die Stärkung der Europäischen Union zu übernehmen – aber dazu gehört auch eine faire Lastenverteilung auf alle Mitgliedstaaten“,“ erklärten Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas gemeinsam.
Scholz bestätigte weiter, dass grundsätzlich „grob“ 10 Milliarden Euro pro Jahr für Deutschland machbar seien. Dennoch sei der Vorschlag der Kommission nur als ein erster Schritt anzusehen, und in allen deutschen Parteien scheint die Ansicht zu herrschen, die „deutsche Bereitschaft“ zum Zahlen müsse einen entsprechenden Preis haben.
Mit Geld politischen Druck aufbauen?
Im Hinblick auf die politischen Auswirkungen einer gescheiterten gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik begrüßen fast alle deutschen Parteien den Vorschlag, die Vergabe von EU-Mitteln künftig an Verfassungsmäßigkeit/Rechtsstaatlichkeit und Solidarität zu knüpfen – vor allem, wenn es darum geht, die Kosten der zukünftigen Integration zu teilen.
„Das ist ein wichtiger, längst überfälliger Schritt“, unterstrich der Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz (Europäische Volkspartei, EVP). „Länder wie Polen oder Ungarn, in denen Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung schlecht umgesetzt werden, werden lernen müssen, dass die Mitgliedschaft in der EU auch Verpflichtungen mit sich bringt und dass Solidarität in beide Richtungen gehen muss.“vFlorenz verwies damit auf einen Vorschlag der Kommission, die Auszahlung von EU-Mitteln an die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten zu knüpfen.
Was manche EU-Regierungen für eine gute Idee halten, wird von einigen Ländern Mittel- und Osteuropas jedoch entschieden abgelehnt.
In Polen wird ein großes EU-Budget für die nächsten sieben Jahre von allen wichtigen politischen Parteien als vorteilhaft angesehen. Viele fürchten aber, dass sich der Konflikt der polnischen Regierung mit der Europäischen Kommission negativ auf die polnische Verhandlungsposition bei der Gelder-Zuteilung auswirken wird.
Warschau ist daher mit den Plänen der Europäischen Kommission, EU-Mittel von der Rechtsstaatlichkeit abhängig zu machen, eindeutig nicht einverstanden: „Wir werden uns nicht auf solche willkürlichen Mechanismen einigen, die die Gelderzuteilung zu einem Instrument des politischen Drucks machen. Der Haushalt muss gesetzlich geregelt sein, nicht durch willkürliche Entscheidungen“, kritisierte der polnische Europaminister Konrad Szymański.
Finger weg von Kohäsion und Agrarsubventionen
Der neue Haushaltsvorschlag der Europäischen Kommission sieht außerdem eine Kürzung der Regionalfonds um sieben und der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) um fünf Prozent vor.
Es überrascht nicht, dass diese Kürzungen der Kohäsionspolitik und der Subventionen für die Landwirte vielen Mitgliedstaaten ein Dorn im Auge sind. Eine Reihe von Ländern, vor allem die derzeitigen Nettoempfänger, wollen einen „robusten Finanzrahmen“ für die Kohäsionspolitik und die GAP beibehalten.
Drei Visegrad-Länder – die Tschechische Republik, Polen und die Slowakei – haben bereits deutlich gemacht, die Kohäsionspolitik solle das größte entwicklungspolitische Betätigungsfeld der EU bleiben. Sie komme allen Regionen und Ländern der EU zugute.
Laut dem polnischen Minister für Investitionen und Entwicklung Jerzy Kwieciński ist das polnische BIP in den vergangenen 13 Jahren um 20 Prozentpunkte gestiegen. „Es wird geschätzt, dass dieser spektakuläre Anstieg zu einem Fünftel auf die Umsetzung der Kohäsionspolitik in Polen zurückzuführen ist,“ erläuterte Kwieciński.
Auf der anderen Seite loben einige Politiker die Kommission für ihre Bemühungen, die beiden größten Posten des langfristigen EU-Haushalts zu kürzen.
Richard Sulík, slowakischer Europaabgeordneter (EKR) und Vorsitzender der stärksten Oppositionspartei in Tschechien (der liberalen SaS), begrüßte die vorgeschlagenen Kürzungen bei der Kohäsion und der GAP, die er beide für „unwirksam“ hält. „Ich bin überzeugt, dass sie [die GAP] zielgerichteter und kontrollierter sein muss. Und deshalb glaube ich, dass die Kürzungen noch sehr viel ehrgeiziger sein sollten, als die vorgeschlagenen fünf Prozent.“
Im Gegensatz zu dieser Sicht drängen Spanien und Portugal ebenfalls auf eine „solide“ Regionalpolitik, während Frankreich für eine starke GAP eintritt.
„Für uns sollten die beiden Hauptpfeiler des EU-Haushalts weiterhin die Landwirtschaft und die Kohäsion sein“, betonte der spanische Staatssekretär für Haushalt Alberto Nadal kürzlich.
Auch Griechenland macht sich noch Sorgen um seinen Stand in der nächsten Finanzperiode. Im Rahmen des derzeitigen Haushalts wurde Griechenland allein über die Gemeinsame Agrarpolitik mit 19,61 Milliarden Euro von der EU unterstützt. Jegliche Kürzung würde direkte Auswirkungen auf die griechischen Landwirte haben.
Neue Eigenmittel zur Schließung der Brexit-Lücke
Da die EU-Kommission das Ziel hat, die nationalen Beiträge zum EU-Haushalt schrittweise zu verringern und mehr eigene Geldeinnahmequellen zur Verfügung zu haben, kam aus Brüssel erneut der Vorschlag, neue sogenannte Eigenmittel einzuführen und alle Korrekturmechanismen schrittweise abzuschaffen.
So will die Kommission die Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionsrechten im Rahmen des Emissionshandelssystems des Blocks (ETS) direkt an die EU-Koffer umleiten. Außerdem plant Brüssel die Einführung eines nationalen Beitrags auf Grundlage der Menge der nicht recycelten Kunststoffabfälle in jedem Mitgliedstaat. Darüber hinaus will die Kommission zumindest einen Anteil an einer gemeinsamen Steuerregelung für Großunternehmen, die schrittweise eingeführt werden soll, erhalten.
„Wir denken, dass wir mit diesen neuen Eigenmitteln die durch den Brexit entstehende Lücke zu 50 Prozent schließen können“, erklärte Haushaltskommissar Guünther Oettinger am vergangenen Mittwoch.
Die Tschechische Republik zeigte sich bereits skeptisch, ob es derzeit möglich ist, einen umfassenden Kompromiss über die Eigenmittel der EU zu erzielen. „Im Gegensatz zur BNE-basierten Zahlung in den EU-Haushalt hätten solche Vorschläge unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Mitgliedstaaten,“ warnte der Staatssekretär für EU-Angelegenheiten Aleš Chmelař gegenüber EURACTIV.
Wenn man sich auf neue Eigenmittel einigen könne, so Chmelař weiter, würde die Tschechische Republik es vorziehen, nur eine große Einkommensquelle für die EU zu haben, statt mehrerer „kleiner“ Quellen. Er erläuterte: „Wir wollen den EU-Haushalt für die Bürgerinnen und Bürger verständlich halten.“
Bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer wäre derweil Griechenland dabei: Laut MEP Papadimoulis sollten mindestens zwei neue Eigenmittel für eine gemeinsame europäische Politik beschlossen werden. Diese Mittel könnten entweder über die Besteuerung von Kohlendioxid- oder Kerosinemissionen oder eben aus einer Steuer auf kurzfristige Finanztransaktionen aufgebracht werden.
Während die Slowakei die Einführung von „europäischen Steuern“ bei den Verhandlungen über den derzeitigen Finanzrahmen bis 2020 entschieden abgelehnt hatte, reagiert die aktuelle Regierung nun vorsichtiger und zeigt sich gesprächsbereit.
Richard Sulík hingegen ist einer der wenigen slowakischen EU-Abgeordneten, die den Vorschlag der Kommission entschieden ablehnen: „Keine öffentliche Verwaltung, auch nicht auf europäischer Ebene, sollte eine Steuer einführen oder erheben, bis ihre Ausgabenseite in Ordnung gebracht ist. Dies ist leider eine Folge des jüngsten Skandals in Bezug auf EU-Subventionen, die nach vielen Jahren endlich vom OLAF [dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung] untersucht werden.“
Auch sein Kollege von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten Jan Zahradil fürchtet, dass neue EU-Steuern den EU-Haushalt von den Nationalstaaten lösen und somit der Europäischen Kommission zu viel Macht bringen würden.