Die EU-Exekutive wird vorschlagen, auf den Märkten Kredite aufzunehmen, um ein Konjunkturprogramm zu finanzieren, das über den EU-Haushalt hinausgehen soll, erklärte der Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Wirtschaft, Valdis Dombrovskis.
„Wir wollen die Finanzierungskapazität des nächsten MFR über das hinaus verstärken, was wir jetzt haben“, sagte Dombrovskis den Abgeordneten und bezog sich dabei auf den nächsten Siebenjahreshaushalt der EU, den so genannten mehrjährigen Finanzrahmen.
„Dafür werden wir einen zusätzlichen Fonds einrichten, und zwar durch Anleihen auf den Märkten“, erläuterte Dombrovskis gegenüber den Gesetzgebern im Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments.
„Wie genau wir die Anleihen nennen, bleibt noch zu klären“, räumte er ein. Aber wie immer der Name auch lauten mag, „wir werden die Anleihe zur Finanzierung der wirtschaftlichen Erholung verwenden“, fügte er hinzu.
Die Kommentare von Dombrovskis bestätigen die Unterstützung der Kommission für gemeinsame Schulden zur Finanzierung eines EU-weiten Wiederaufbauplans nach der COVID-19-Krise.
Merkel zeigt Bereitschaft zu höherem EU-Haushalt
Am Montag signalisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Pressekonferenz die Bereitschaft zu weiteren EU-Schuldeninstrumenten, bestand aber darauf, dass dies im Einklang mit den bestehenden EU-Verträgen geschehen müsse.
Auf die Frage nach der Möglichkeit, den Haushalt des Blocks für die Ausgabe von EU-Anleihen zur Finanzierung des Aufschwungs zu nutzen, sagte Merkel, sie könne sich „solche Instrumente auch weiter vorstellen.”
“Wir werden aber schnelle Antworten auf diese Pandemie brauchen. Deutschland wird sich an solidarischen Antworten beteiligen – über das hinaus, was wir jetzt schon mit den 500 Milliarden Euro haben,” sagte Merkel mit Blick auf das 540 Milliarden Euro-Paket, auf das sich die EU-Finanzminister am 9. April geeinigt haben.
Deutschland ist nach wie vor gegen Euroanleihen – oder das gemeinsame Pooling von EU-Altschulden – und zeigt sich weiterhin widerwillig, sich auf einen höheren EU-Haushalt zu einigen. Die Coronavirus-Krise hat die Debatte in Deutschland jedoch verlagert.
Merkel verwies insbesondere auf die in Artikel 122 des EU-Vertrags enthaltene Solidaritätsklausel, die während der Finanzkrise genutzt wurde, um den Europäischen Stabilitätsmechanismus, den Rettungsfonds der EU, einzurichten.
Es ist derselbe Artikel im EU-Vertrag, der als Grundlage für die befristete „Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in Ausnahmesituationen“ (SURE) der Kommission diente. SURE wird finanzielle Unterstützung in Form von Darlehen zu günstigen Bedingungen für Länder bereitstellen, die auf der Grundlage von Garantien der Mitgliedsstaaten befristete Arbeitslosenprogramme für Arbeitnehmer einrichten, die von der Coronavirus-Pandemie betroffen sind.
Spaniens Wiederaufbauplan
Merkels Offenheit, weitere Solidaritätsmechanismen zu prüfen, bedeutet nicht, dass Deutschland plötzlich zustimmen wird, gemeinsame EU-Schulden zu erlassen – eine Idee, die von einer Gruppe von neun EU-Ländern unter Führung von Italien, Spanien und Frankreich unterstützt wird.
Und Berlin steht damit nicht alleine da. Die Idee wurde im Norden stark abgelehnt, vor allem von den Niederlanden, Finnland und Dänemark.
Nichtsdestotrotz verteilte Spanien am Montag ein Non-Paper im Hinblick auf das bevorstehende Treffen des Europäischen Rates. Die Idee Madrids für einen Sanierungsfonds ist weit von dem entfernt, was einige Hauptstädte im Sinn haben.
Premierminister Pedro Sánchez wird sich am Donnerstag dafür einsetzen, dass die Instrumente zur Bewältigung der Krise „nicht auf Maßnahmen zur Erhöhung der Staatsverschuldung beschränkt werden sollten“, wie dies derzeit der Fall ist. Sánchez fordert daher die Einrichtung eines Fonds auf der Grundlage von Zuschüssen in Höhe von einer bis 1,5 Billionen Euro, der durch EU-Schulden finanziert werden soll.
Das ist der Betrag, was nach Berechnungen der Kommission nötig wäre, um der Krise zu begegnen, sagte der EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni kürzlich in einem Interview.
Spanien wird sich ebenfalls für eine Erhöhung der nationalen Beiträge zum EU-Haushalt einsetzen – bis zu 1,114 Prozent des spanischen Bruttonationaleinkommens. Die Beiträge für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik sollten dabei beibehalten werden, heißt es im Papier, jedoch mit mehr Flexibilität, um im Falle einer akuten Krise wie der COVID-19-Pandemie Transfers zu ermöglichen.
Madrid befürwortet zudem die Wiedereinführung der Stabilisierungsfunktion im Haushaltsinstrument der Eurozone – die noch abgeschlossen werden muss – und die Einrichtung eines ständigen europäischen Arbeitslosen-Rückversicherungssystems.
Ein stärkerer EU-Haushalt
Laut Dombrovskis „ist eine Rezession in diesem Jahr unvermeidlich“, doch das Ausmaß und die Schwere der Krise werden von den Maßnahmen abhängen, die ergriffen werden, um die Auswirkungen abzumildern und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Bisher hat die Europäische Union den beispiellosen Schritt unternommen, die Regeln für das Haushaltsdefizit des Blocks vorübergehend auszusetzen, um den Ländern mehr Spielraum im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu geben. Außerdem hat sie die staatlichen Vorschriften gelockert und bestehende EU-Mittel umgeschichtet, während sie sich gleichzeitig auf ein 540 Milliarden Euro umfassendes wirtschaftliches Hilfspaket geeinigt hat.
Die Staats- und RegierungschefInnen der EU werden am Donnerstag, den 23. April, im Rahmen einer Telefonkonferenz besprechen, wie die Erholung des Blocks finanziert werden kann, sobald die Krise vorüber ist.
In einem Brief an den Ratspräsidenten Charles Michel verwies Mario Centeno, der Vorsitzende der Eurogruppe, auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedsstaaten der EU bezüglich der Finanzierung eines Hilfsplan.
„Einige [Mitgliedsländer] vertraten die Ansicht, dass [der Hilfsplan] auf der gemeinsamen Ausgabe von Schuldverschreibungen basieren sollte, während andere für alternative Lösungen plädierten, insbesondere im Zusammenhang mit dem mehrjährigen Finanzrahmen“, erklärte Centeno in Bezug auf den nächsten Siebenjahreshaushalt der EU.
Einige der Länder, die gegen gemeinsame Schuldtitel waren, zögerten jedoch auch, ihre nationalen Beiträge zum gemeinsamen Haushalt zu erhöhen. Vor dem Hintergrund einer Rezession könnte es sogar noch schwieriger sein, eine Einigung zu erzielen.
„Wir brauchen einen ehrgeizigen MFR, dessen Größe und Investitionskapazität den derzeitigen übersteigt“, forderte Dombrovskis gegenüber den Abgeordneten.
Es wird erwartet, dass die Europäische Kommission am 29. April eine überarbeitete Version des langfristigen Haushalts der EU vorlegt. Obwohl diese Version bis Donnerstag noch nicht fertig sein wird, „wird der Meinungsaustausch im Rat in dieser Hinsicht wichtig sein“, meint er.
Dombrovskis versicherte den Gesetzgebern auch, dass die Rolle der EU-Regionalfonds in dem neuen Vorschlag „gestärkt“ werde. Der Wiederaufbau könne nicht „auf Kosten der ärmeren Regionen und Mitgliedsstaaten“ erfolgen, so Dombrovskis.
Trotz der Differenzen zwischen den Mitgliedsstaaten, sogar vor dem COVID-19-Ausbruch, betonte Dombrovskis, dass die Kommission daran arbeitet, bis Januar nächsten Jahres über einen funktionierenden Haushalt zu verfügen und deshalb keinen Übergangsplan in Erwägung zieht.
„Im Jahr 2020 werden wir nicht in der Lage sein, eine „business as usual“-Programmgestaltung für EU-Fonds zu haben“, bemerkte Dombrovskis. „Wir arbeiten bereits jetzt an Ad-hoc-Lösungen, damit ab 2021 Geld in die Realwirtschaft fließen kann“.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Britta Weppner]