Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel trat gestern alleine vor die Presse, nachdem Boris Johnson nicht an einer geplanten Pressekonferenz teilnehmen wollte. Bettel kritisierte Johnsons Umgang mit den Brexit-Verhandlungen und betonte, dass das Vereinigte Königreich, nicht die EU, für die Krise verantwortlich sei.
Johnson wurde von einer Menge von mehreren hundert Demonstranten ausgebuht, als er am Montagnachmittag zu einem Treffen mit Premierminister Xavier Bettel anreiste.
Die heftigen Proteste veranlassten die britischen Beamten, eine geplante gemeinsame Pressekonferenz unter freiem Himmel abzusagen. Nachdem sie keinen alternativen Raum für die Pressekonferenz gefunden hatten, brachen Johnson und sein Gefolge auf. Bettel gab anschließend eine Stellungnahme ab und beantwortete Fragen von Reportern neben einem leeren zweiten Rednerpult, das für Johnson bestimmt war.
Mit Blick auf das leere Rednerpult sagte Bettel, dass der britische Premierminister „die Zukunft aller britischen Bürger und aller in Großbritannien lebenden EU-Bürger in seinen Händen hält“.
Die Uhr tickt
„Es liegt in seiner Verantwortung. Ihr Volk, unser Volk, zählen auf Sie – die Uhr tickt, nutzen Sie Ihre Zeit weise,“ so Bettel weiter.
Angesichts der Vorwürfe der Brexiteers, die EU sei bei den Verhandlungen zu Artikel 50 unnachgiebig gewesen, bezeichnete Bettel die Sackgasse als „hausgemachte Probleme“. Dabei liege die Schuld eindeutig bei Johnsons konservativer Partei für die Durchführung des Referendums im Jahr 2016.
„Schieben Sie nicht die Schuld auf uns, weil Sie in eine Situation geraten sind, aus der Sie nicht mehr herauskommen,“ so der Luxemburger.
„Wir haben nicht beschlossen, den Brexit zu organisieren. Es war eine einseitige Entscheidung der britischen Regierung. Wir müssen das Resultat akzeptieren. Allerdings wird die britische Regierung jetzt nicht einseitig über ihre zukünftigen Beziehungen zur EU entscheiden können.“
Der jüngste öffentliche Fauxpas des britischen Premierministers überschattete ein Mittagessen mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, und Michel Barnier, dem Chefunterhändler der EU-Brexit. Im Anschluss an dieses Treffen hatte ein Sprecher von Johnson erklärt, der Premier habe „bekräftigt, dass er keine Verlängerung beantragen werde und mit dem Vereinigten Königreich am 31. Oktober aus der EU austreten wird“.
Tägliche Gespräche
Der Sprecher fügte hinzu, dass Juncker und Johnson sich darauf geeinigt hätten, dass die Gespräche „intensiviert werden müssten und dass die Treffen bald täglich stattfinden werden“. Johnson bekräftigte erneut, er versuche, ein Abkommen mit der EU auszuhandeln.
Bettel hingegen wies auf die Frustration der EU über das Fehlen konkreter Vorschläge, die vom Vereinigten Königreich ausgearbeitet werden, hin. „Ich höre viel, aber ich lese nicht viel. Wenn sie wollen, dass wir etwas besprechen können, brauchen wir es schriftlich“, betonte er.
Johnson seinerseits gab noch ein Interview mit der BBC, in dem er klar stellte, dass es „sinnlos“ sei, eine Verlängerung der Gespräche um drei Monate zu beantragen, zu der er jetzt gesetzlich verpflichtet ist. Die EU-Führungskräfte haben die innenpolitischen Dramen Großbritanniens bezüglich des Brexit “satt“, fügte er hinzu.
Ein wichtiger Meilenstein
In einer Stellungnahme erklärte die Europäische Kommission, sie sei „rund um die Uhr einsatzbereit“ für weitere Verhandlungen. Auch der nächste EU-Gipfel am 16. und 17. Oktober werde „ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess“ sein.
In einem am Montag veröffentlichten Schreiben an den Premierminister forderte Hilary Benn, die Vorsitzende von „Exiting the EU“, Johnson auf, das Datum zu bestätigen, an dem er seine Alternativvorschläge für den irischen Backstop veröffentlichen würde.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Britta Weppner]