Das neue EU-Quotensystem für Flüchtlinge: Zweifel von allen Seiten

Gegenwind gegen seine "EU-Agenda für Migration": EU-Kommissar Frans Timmermans in Brüssel. [EC]

Flüchtlinge in Europa sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig nach einem Quotensystem gerechter auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilt werden – eine Idee, die auf Widerstand vieler EU-Staaten und politischen Parteien stößt. Die Briten etwa wollen Flüchtlingsboote zurück nach Afrika schicken.

„Migration geht alle Mitgliedstaaten an, und alle Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, ihren Beitrag zur Bewältigung dieser historischen Herausforderung zu leisten“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Mittwoch in Brüssel bei der Vorstellung der Flüchtlings- und Migrationsstrategie der EU-Kommission.

Hintergrund sind die tragischen Schiffsunglücke im Mittelmeer, bei denen in den vergangenen Monaten hunderte Flüchtlinge ertranken.

„Unsere Bürger erwarten von den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen, dass sie dieser Tragödie Einhalt gebieten. Der Europäische Rat hat klar gesagt, dass wir eine europäische Lösung finden müssen, und zwar auf der Grundlage innereuropäischer Solidarität und in dem Bewusstsein, dass eine wirksame Migrationspolitik unser aller Aufgabe ist“, sagt auch der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans.

Noch vor Ende Mai soll nun laut Kommission ein zeitlich befristetes Quotensystem für Menschen eingeführt werden, „die eindeutig internationalen Schutz in der EU benötigen“, wie es in einer Erklärung hieß.

In welche Länder wie viele Flüchtlinge kommen, soll von mehreren Faktoren abhängig sein: Der Einwohnzahl, der Wirtschaftsleistung, der Arbeitslosenquote und der bisherigen Zahl der Asylbewerber. Ende des Jahres soll ein Gesetzesvorschlag für ein dauerhaftes Quotensystem folgen. Dieses würde immer dann greifen, wenn irgendwo in der EU auf einen Schlag sehr viele Migranten eintreffen.

Derzeit ist das Ungleichgewicht groß. Italien und Griechenland stöhnen unter der großen Zahl von Ankömmlingen. Auch Deutschland gehört zu den Ländern, die vergleichsweise viele Flüchtlinge aufnehmen. Es würde daher kurzfristig von einem Quotensystem profitieren, meint der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber: „Ganz aktuell würde es auf jeden Fall Entlastung bedeuten, weil Deutschland derzeit eins der großen Aufnahmeländer in der Europäischen Union ist“, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Mittelfristig seien die Konsequenzen aber schwierig vorherzusagen, räumte Weber ein.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière begrüßt die Vorschläge. Es sei erfreulich, dass die Kommission nun aufgegriffen habe, wofür er sich gemeinsam mit einigen Amtskollegen aus anderen EU-Staaten schon länger einsetze, sagte de Maizière am Mittwoch in Berlin. Damit sei die Diskussion auch auf europäischer Ebene eröffnet. Die EU-Länder müssten auf dieser Grundlage nun in konkrete Gespräche eintreten. „Alle Mitgliedstaaten tragen gemeinsame Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen“, mahnte er.

Widerstand aus Großbritannien, Ungarn, Polen

Heftiger Gegenwind kommt aus Großbritannien. Quoten würden noch „mehr Menschen dazu ermutigen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen“, schrieb die britische Innenministerin Theresa May in der Zeitung „The Times“ vom Mittwoch. Stattdessen schlug May vor, Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer zurückzuschicken. Die EU solle sich darum bemühen, „sichere Landeplätze in Nordafrika zu schaffen, unterstützt durch ein aktives Rückführungsprogramm“, schrieb die Ministerin. Großbritannien ebenso wie Irland müssen bei einem Quotensystem nicht mitmachen. Ähnlich wie Dänemark genießen sie durch den Lissabon-Vertrag Ausnahmerechte.

Daneben gibt es auch unter den übrigen EU-Ländern Widerstände. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nannte verbindliche Quoten im Vorfeld „verrückt“.

Auch Polen, ähnlich wie die baltischen Staaten, lehnt die Quotenregelung ab. „Es wundert mich sehr, dass die Regierungschefs die klare Entscheidung trafen, dass die Aufnahme von Migranten völlig freiwillig erfolgen soll, und die EU-Kommission uns jetzt Quoten auflegen will. Dazu gibt es derzeit keinerlei Zustimmung“, betonte der stellvertretende polnische Außenminister Rafal Trzaskowski am Donnerstag im Nachrichtensender TVN24.

Kritisiert wurde das Quotenkonzept unter anderem Blickwinkel von den Grünen. „Ein verbindlicher Verteilungsschlüssel ohne einheitliche und hohe Asylstandards führt nicht zu mehr Solidarität, sondern zu mehr Ungerechtigkeit im System“, erklärte die Bundesvorsitzende Simone Peter am Mittwoch. Europaabgeordnete von SPD, CDU und FDP hießen die Pläne für Quoten im Grundsatz gut.

Die Migrationsstrategie ist aber nicht auf die Umverteilung von Flüchtlingen begrenzt. Schon weit vorher will die EU Schleppern ihr Handwerk erschweren, die viele Menschen auf den gefahrvollen Weg nach Europa bringen. Es werde erwogen, „Schleuserschiffe systematisch zu ermitteln, aufzubringen und zu vernichten“, heißt es in einem EU-Papier.

Auch die Rettung Schiffbrüchiger soll verstärkt werden. Für die Einsätze „Triton“ und „Poseidon“ im Mittelmeer ist eine Verdreifachung der Ressourcen in diesem und nächstem Jahr vorgesehen. Die Kommission will zudem das „Triton“-Einsatzgebiet ausweiten. Das bedeutet, dass wahrscheinlich mehr Menschen gerettet werden könnten, wenn sich der Aktionsradius der Schiffe vergrößert.

Als weitere Sofortmaßnahme kündigte die EU-Behörde ein Neuansiedlungssystem an, das EU-weit Platz für 20.000 Flüchtlinge bieten soll. Neuansiedlung betrifft anders als das Quotensystem Menschen, die noch nicht in der EU sind, jedoch dringend eine neue Bleiben brauchen – zum Beispiel syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Libanon.

Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung begrüßte die Strategie. Es handele sich um einen „Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Staatsministerin Aydan Özoguz in Berlin.

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