Die Sommerferien nahen und viele Länder bereiten Pläne zur Wiederöffnung der Grenzen vor – trotz der weiterhin anhaltenden Coronavirus-Pandemie. Derweil könnte Schweden aufgrund seiner hohen Zahl an COVID-19-Fällen zu einem Geächteten unter den nordischen Ländern werden. EURACTIV Italien berichtet.
Dänemark und Norwegen bereiten sich darauf vor, ihre Grenzen wieder zu öffnen. Die Regierungen in Kopenhagen und Oslo haben auch die Lockdown-Maßnahmen gelockert: Schulen, Geschäfte und Restaurants dürfen wieder öffnen.
Dank der Lockdowns – die es im Nachbarland Schweden nicht gibt – konnte die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden.
„Unsere Hoffnung ist es, mögliche neue Ansteckungswellen durch Tests, Kontaktüberwachung und Isolierung unter Kontrolle halten zu können. Das ist unsere Hoffnung, bis wir ein Heilmittel oder einen Impfstoff haben,“ erklärte der Chef-Epidemiologe der norwegischen Regierung, Frode Forland, kürzlich gegenüber The Local Norway.
Forland äußerte sich jedoch besorgt über die Ausbreitung der Infektionen in Schweden. Diese werde sich auf den Zeitpunkt und auch das Vorgehen für die allmähliche Grenzöffnung auswirken, warnte er.
Diese Befürchtung wird auch in Finnland geteilt: Die finnische Innenministerin Maria Ohisalo sagte kürzlich, es könne sich möglicherweise als schwierig erweisen, eine Einigung zum freien Reiseverkehr zwischen den nordischen Ländern zu ermöglichen: „Norwegen, Dänemark und Island ist es gelungen, die Situation zu stabilisieren. In Schweden ist die Situation hingegen besorgniserregender,“ betonte Ohisalo.
Sie legte nahe, dass Finnland eine „differenzierte Politik“ bezüglich seiner Grenzen zu Schweden und auch für Estland umsetzen könnte, je nach der aktuellen Virus-Situation in den einzelnen Ländern.
Risikofaktor Schweden?
Auch Mika Salminen, der Direktor des finnischen Ministeriums für Gesundheitssicherheit, geht davon aus, dass Touristen aus Dänemark und Norwegen ein geringeres Risiko darstellen könnten als Personen, die aus Schweden einreisen.
Die Zahl der mit COVID-19 in Zusammenhang stehenden Todesfälle ist in Schweden (aktuell 4.125) deutlich höher als in den Nachbarländern. Tatsächlich gab es im Land bisher sogar mehr Todesfälle als in allen anderen nordischen Staaten zusammen.
Immunität nach Erkrankung?
Einen anderen Standpunkt nimmt Anders Tegnell, Leiter der schwedischen Gesundheitsbehörde, ein: So könne die Tatsache, dass es in seinem Land mehr Infektionen gibt, dazu führen, dass die schwedischen Bürgerinnen und Bürger in Zukunft weniger wahrscheinlich krank werden.
Diese Theorie, dass die Ansteckung mit dem Coronavirus eine spätere Immunität garantiert, ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch nicht eindeutig verifiziert. Verschiedene Studien deuten zwar darauf hin, dass Infizierte über bestimmte Antikörper verfügen, die laut WHO wahrscheinlich „ein gewisses Maß an Schutz bieten“. Es gebe jedoch noch keinen Beweis dafür, dass dies zu einer vollständigen Immunität führt.
Tegnell argumentiert ferner, dass ausländische Besucher nicht die Hauptverantwortlichen für Infektionen in den nordischen Ländern sind. Vielmehr seien es ins Ausland reisende Einheimische gewesen, die das Virus zurück in ihre jeweiligen Heimatländer gebracht hätten.
Wenig Tests & Rückverfolgung
Schweden weist allerdings nicht nur ein höheres Infektionsniveau auf: Seine Test- und Rückverfolgungskapazitäten sind ebenfalls geringer als die seiner Nachbarn. Gegenwärtig können Personen mit leichten Symptomen nur dann getestet werden, wenn sie bestimmten „Gruppen mit hoher Priorität“ angehören, wie beispielsweise Mitarbeitenden im Gesundheitswesen oder Pflegepersonal.
Darüber hinaus gibt es keine offizielle Tracing-App zur Rückverfolgung von Kontaktpersonen wie etwa in Norwegen.
Das bedeutet, dass es selbst dann, wenn bis zum Sommer ein höherer Prozentsatz der Schwedinnen und Schweden gegen das Virus immunisiert sein sollte, schwierig werden dürfte, festzustellen, wer tatsächlich eine solche Immunität entwickelt hat.
Dafür müssten die Kontaktverfolgung und die Tests erheblich intensiviert werden.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]