Erwartungsgemäß brachten die Brexit-Beratungen des EU-Gipfels am Mittwoch in Brüssel keinen Durchbruch. Man will aber weiterhin an einer Verhandlungslösung arbeiten.
Allseitig heißt es, die Verhandlungen seien weit fortgeschritten. Keine Lösung ist jedoch weiterhin bei der irischen Grenzfrage in Sicht. Beide seiten wollen eine harte Grenze auf der irischen Insel vermeiden, um den Frieden in der früheren Konfliktregion zu sichern. Der EU-Vorschlag, stattdessen die Zollkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien auf See durchzuführen, scheint jedoch aus britischer Sicht inakzeptabel zu sein. Selbst wenn Premierministerin Theresa May hier nachgeben würde, innenpolitisch käme sie damit wohl nicht durch.
Am gestrigen Mittwoch nahm May zeitweise am EU-Gipfel teil, um ihre Amtskollegen aus den verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten über die britische Position zu informieren. Sie habe allerdings keine neuen Vorschläge gemacht, berichten viele Gipfelteilnehmer übereinstimmend.
May habe die EU aufgefordert, die Grenzfrage in einer „gemeinsamen Anstrengung zu lösen“. Beide Seiten seien in der Lage gemeinsam „schwierige Vereinbarungen“ zu treffen. Sie betonte weiterhin großes Interesse an einer Verhandlungslösung und zeigte sich zuversichtlich, dass man zu einem guten Ergebnis kommen werde. Auf beiden Seiten sei „Mut, Vertrauen und Führung“ notwendig. Aus dem Dilemma mit der irischen Grenze wolle sie einen „kreativen Weg“ finden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP.
„Inhaltlich gibt es nichts substanziell Neues, aber ich spüre den politischen Willen, Fortschritte zu erreichen“, fasste EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani seine Bewertung von Mays Auftritt zusammen. Auch EU-seitig glaubt man weiterhin an eine Verhandlungslösung und sah in Mays Auftritt positive Signale.
Solche Signale kamen später am Abend auch von den Staatschefs der EU-27. Diese berieten unter sich das weitere Vorgehen, nachdem May abgereist war und forderten ihren Chefunterhändler, Michel Barnier, auf, „die Anstrengungen, eine Vereinbarung zu erzielen“, fortzusetzen. Einen Sondergipfel im November zum Abschluss einer Verhandlungen plane man zwar vorerst nicht ein, dies sei aber weiterhin möglich, wenn entsprechende Fortschritte erreicht würden.
Laut dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte forderten die Staats- und Regierungschefs der EU-27 die EU-Kommission auf, sich „mit noch mehr Nachdruck“ auf das Szenario eines britischen Austritts ohne Abkommen vorzubereiten. Er erwarte zwar nicht, dass es so weit kommt, aber vorbereitet müsse man sein.
So bleibt trotz aller positiven Signale erstmal unklar, ob der „dirty Brexit“ – der Austritt Großbritanniens ohne Vereinbarung – tatsächlich abgewendet werden kann. Stichtag für den Brexit ist der 29. Mai. Bis dahin muss eine Vereinbarung stehen, soll der chaotische Abgang vermieden werden. Dies wollen beide Seiten unbedingt, denn ein Brexit ohne Deal würde viel Unsicherheit bringen und zahlreiche wirtschaftliche Verflechtungen kappen. Mancher Experte fürchtet gar ein Problem für die innere Sicherheit.
Sollte bis dahin die Nordirlandfrage nicht gelöst sein, gäbe es allerdings auch Möglichkeiten, Zeit zu gewinnen. So könnte etwa der Verhandlungszeitraum im beidseitigen Einvernehmen verlängert werden. Artikel 50, nach dem die Verhandlungen laufen, sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor.
Barnier brachte zudem im Vorfeld des Gipfels die Möglichkeit ins Spiel, die Übergangsphase nach dem Brexit zu verlängern. Nach aktueller Vereinbarung läuft diese bis Ende 2020. In dieser Zeit bleibt Großbritannien im Binnenmarkt und der Zollunion, was bedeutet, dass es auch noch keine Lösung für die strittige Grenzfrage braucht. Politisch wäre dieser Weg jedoch nicht ganz unproblematisch. Es bräuchte in der EU-27 einen einstimmigen Beschluss. Zudem könnte May Schwierigkeiten mit dem rechten Tory-Flügel bekommen, der diese wohl ablehnen würde, weil Großbritannien während der Übergangsphase zwar noch an EU-Regeln gebunden sein wird, zugleich aber keine Mitspracherechte mehr hat.