Die Wiederaufnahme Russlands in die Gruppe der größten Industrieländer ist beim Gipfeltreffen im französischen Biarritz erneut zum Streitpunkt zwischen Donald Trump und seinen Partnern geworden. Die Europäer und Kanadier bestanden darauf, die G7 als „Club der liberalen Demokratien“ zu erhalten.
Beim Gipfel, der am heutigen Montag endet, kam es am Wochenende zu einer unerwarteten Wendung, als der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif in Biarritz eintraf. Seine Ankunft folgte auf die Diskussionen am Samstagabend über das iranische Atomprogramm, eines der Hauptthemen des Treffens.
Eine Quelle aus dem Élyssée-Palast deutete an, die Regierungsführer hätten sich in Bezug auf die grundlegenden Ziele im Umgang mit dem Iran „angeglichen“. Dies habe den Weg für den Besuch des iranischen Ministers geebnet, um die Gespräche mit der französischen Regierung fortzusetzen. Letztere hatte die Führung übernommen und versucht aktuell, das Atomabkommen mit Teheran zu retten.
Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich und die USA hatten sich letztlich darauf geeinigt, man wolle sicherstellen, dass der Iran keine Atomwaffen entwickelt und sich für die Stabilität und den Frieden in der Region einsetzt, sagte Frankreichs Präsident Macron am Sonntag.
Diese sachte Annäherung dürfte aber kaum ausreichen, um die zahlreichen und tiefen Spaltungen der G7-Staaten zu kaschieren, die sich bereits zu Beginn der Treffen zeigten.
„Dies könnte die letzte Möglichkeit sein, um unsere politische Gemeinschaft wiederherzustellen,“ hatte der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, kurz vor Beginn der Gespräche in Biarritz gewarnt.
Allerdings befand sich US-Präsident Trump schon kurz darauf erneut auf Konfrontationskurs mit seinen engsten internationalen Verbündeten. Insbesondere bei der möglichen Wiederaufnahme Russlands in den exklusiven Club war man sich uneins.
Trump wirbt für Russland
Trump argumentierte während des Dinners am Samstag, das Thema Iran habe bewiesen, dass Russland wieder am G7-Tisch sitzen könnte und sollte.
Eine Quelle aus dem EU-Umfeld sagte hingegen, die Europäer und Kanada sprächen sich nach wie vor gegen die Wiederaufnahme Moskaus aus. Ihrer Ansicht nach solle die G7 ein „Club der liberalen Demokratien“ sein.
Darüber hinaus bleibt die Besetzung der Krim – der Grund, warum Russland vor fünf Jahren ausgeschlossen wurde – immer noch ein Hindernis, so ein kanadischer Beamter gegenüber EURACTIV.com.
Tusk schlug am Samstag indes vor, die G7 könnten anstelle von Russland im kommenden Jahr die Ukraine „als Gast“ begrüßen – ein Vorschlag, den er bald auch dem Rest der G7-Staaten unterbreiten würde.
Allerdings dürfte eine Aufnahme der Ukraine kaum die notwendige Einstimmigkeit erreichen, umso weniger, da Trump die Gruppe im nächsten Jahr leiten wird.
Schadensbegrenzung?
Neben den internationalen außenpolitischen Fragen versuchte Verhandlungsführer Macron, die Meinungsverschiedenheiten über Handel und Klima einzudämmen. Der Gastgeber hatte sich vorgenommen, die „Relevanz und Effektivität“ der G7 wiederherzustellen. Zu diesem Zweck traf er die bisher beispiellose Entscheidung, keine offiziellen Schlussfolgerungen zum Ende des Gipfels zu ziehen.
Die Ausarbeitung dieser Schlusskommuniqués war bei Treffen der G7 und G20 zu einem diplomatischen Kampf zwischen den USA und den meisten anderen Nationen geworden, seit Trump im Weißen Haus sitzt. Dies ist vor allem auf seine Ansichten zum Thema Zölle und den Kampf gegen die globale Erwärmung zurückzuführen.
So bezeichnete Trump Kanadas Premierminister Justin Trudeau als „sehr unehrlich und schwach“, nachdem der Kanadier an die „entscheidende Rolle eines regelbasierten internationalen Handelssystems“ erinnert hatte. Eine entsprechende Erklärung war noch während des G7-Gipfels unter Trudeaus Vorsitz in Quebec im vergangenen Jahr vereinbart worden.
Tatsächlich sei die diesjährige Sitzung zu Handelsfragen und internationalen Steuern aber nicht außerordentlich angespannt gewesen, erklärte eine EU-Quelle.
Die Staats- und Regierungschefs der G7 werden am heutigen letzten Verhandlungstag auf diese Themen zurückkommen, wobei Frankreich seinen Vorschlag für eine Digitalsteuer gegen Internetriesen wie Facebook und Google vorlegen dürfte. Dieser trifft in Washington ebenfalls auf wenig Gegenliebe.
Amazonas, Afrika und Geschlechtergleichstellung
Eines der wenigen Themen, bei denen auf dem Gipfel Konsens herrschte, war die geteilte Besorgnis über die Waldbrände im Amazonas-Regenwald.
Die G7-Führer äußerten ihre uneingeschränkte Solidarität mit den Amazonasländern und boten Unterstützung an, insbesondere dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Darüber hinaus zeigten sie sich bereit, zur Wiederaufforstung des Regenwaldes beizutragen.
Die Delegationen hatten sich im Vorfeld auf andere bereichsspezifische Erklärungen zur Gleichstellung der Geschlechter, einer G7-Afrika-Partnerschaft, einer Charta zur biologischen Vielfalt und einer „Strategie für einen offenen, freien und sicheren digitalen Wandel“ geeinigt.
Die französische G7-Präsidentschaft hatte schon zuvor angekündigt, man wolle besonderes Augenmerk auf die Bekämpfung von Ungleichheiten, insbesondere von Geschlechterungleichheiten, legen.
Einige dieser Themen wurden am Sonntag beim Abendessen diskutiert, zu dem neben den G7-Vertretern weitere führende Persönlichkeiten anderer Länder sowie multilateraler Organisationen eingeladen wurden.
WTO-Reform
Zu Beginn des Sonntags konzentrierten sich die Sitzungen indes hauptsächlich auf die Reform der Welthandelsorganisation, insbesondere auf die Neubesetzung der WTO-Berufungsinstanz, die bis Dezember erfolgen soll. Das Gericht gilt als ein Schlüsselelement der multilateralen Organisation, um Handelsstreitigkeiten beizulegen.
Die andere große Frage war, wie man unlautere Handels- und Wirtschaftspraktiken Chinas eindämmen könne. Sowohl Brüssel als auch Washington sehen Peking als „systemische Bedrohung“ für die Weltwirtschaft, warnte eine europäische Quelle.
Die Europäer haben jedoch immer noch Hoffnung auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden. Diese müssten dafür aber ihre Wirtschaft öffnen und den erzwungenen Technologietransfer beenden, unter dem ausländische Unternehmen leiden, so die Hauptforderungen.
Trump hatte kurz vor dem Gipfel hingegen beschlossen, seinen Zollkrieg gegen Peking weiter zu eskalieren, um die Handelsbeziehungen „auszugleichen“. Als er mit Blick auf die ausgelösten Marktturbulenzen nach weiteren potenziellen Zöllen gefragt wurde, überraschte Trump die Pressevertreter am Sonntag mit der Aussage, er denke „über alles zwei Mal nach“.
Ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte später, damit habe der Präsident nicht andeuten wollen, dass die Zölle wieder aufgehoben werden könnten. Vielmehr „bedauere“ der Präsident, dass die Abgaben nicht noch höher ausfallen.
Populisten-Treff
Trump traf sich darüber hinaus am Sonntag mit dem britischen Premierminister Boris Johnson zum Frühstück. Der US-Präsident versprach dem Tory-Führer dabei, die beiden würden sehr bald ein „sehr großes Handelsabkommen, größer als je zuvor“ zwischen den beiden Ländern ausarbeiten.
Auf Nachfrage, ob er Johnson mit Blick auf den Brexit einen Rat geben wolle, sagte Trump lediglich, der Brite benötige keine Ratschläge: „Er ist der richtige Mann für den Job“, so Trump weiter. Johnson sei „eine Person, die meiner Meinung nach ein großer Premierminister sein wird“, sagte der US-Präsident. Er sprach Johnson – der an seinem ersten G7-Gipfel teilnahm, nachdem er die Ämter von seiner Vorgängerin Theresa May übernommen hatte – somit volle Unterstützung aus.
Während Trump und Johnson also auf Kuschelkurs blieben, verärgerte letzterer seine europäischen Partner, indem er die britische Verpflichtung zur Zahlung der offenen Brexit-Rechnungen erneut in Frage stellte. Diese würden fällig, wenn sein Land am 31. Oktober ohne ein Abkommen aus der EU austritt. „Wenn wir ohne einen Deal herauskommen, dann […] sind die 39 Milliarden nicht mehr gesetzlich zugesagt,“ behauptete Johnson am Sonntag im Gespräch mit Sky News.
Von europäischer Seite besteht man hingegen darauf, dass sich dieses Geld „rechtmäßig im Besitz der EU“ befinde und definitiv gezahlt werden müsse.
Das (beziehungsweise ein) Brexit-Abkommen kam bei Johnsons bilateralen Treffen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, am Sonntag aber offenbar nicht zur Sprache.
Eine EU-Quelle erklärte im Anschluss, das Treffen sei in einer „positiven Atmosphäre“ verlaufen, es seien aber keine Fortschritte erzielt worden. Die EU-Seite warte nach wie vor auf einen britischen Alternativplan, um den auf den Inseln umstrittenen Backstop zu umgehen.
„Der Ball liegt wirklich eindeutig im britischen Feld,“ fügte der EU-Beamte abschließend hinzu.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]