Heute Nachmittag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU sowie der Westbalkanstaaten virtuell, um über die Zukunft der Region zu diskutieren. Am Ende soll offenbar eine Abschlusserklärung stehen, in der das Wort „Erweiterung“ komplett ausgelassen wird.
Stattdessen will man sich stärker auf die Unterstützung der EU während der Coronavirus-Pandemie sowie auf die wichtige Bedeutung eines weiteren „Festhaltens an europäischen Werten und Reformen“ konzentrieren.
„Wir sind zufrieden, weil es uns gelungen ist, sicherzustellen, dass die EU ihr Engagement in der Region auf allen Ebenen intensiviert; dass es regelmäßige Treffen auf hoher Ebene geben wird, um Kontinuität zu gewährleisten. Politisch ist das eine starke Botschaft,“ so eine Quelle aus dem Umfeld der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft.
Das Gipfeltreffen – das offiziell den Namen der kroatischen Hauptstadt Zagreb im Titel trägt, aber wegen der Pandemie in Wirklichkeit lediglich per Videokonferenz stattfinden kann – werde die „klare Unterstützung der EU für die europäische Perspektive“ der Balkanregion hervorheben, heißt es in einem Entwurf der Abschlusserklärung, den EURACTIV.com einsehen konnte.
Dieser Entwurf enthält auch erstmalig einen Satz, der das Engagement der Westbalkanländer für mehr EU-Integration unterstreicht und bekräftigt. Diese Neuerung wurde vor dem Hintergrund der jüngsten Annäherungsversuche Serbiens an China offenbar als notwendig erachtet.
Erweiterung: Sie, deren Namen nicht genannt werden darf
Eine diplomatische Quelle, die mit den Vorgängen beim letzten Ratstreffen der EU-Botschafter (COREPER) vor dem heutigen Gipfel vertraut ist, bestätigte, dass „einige Länder sich besonders ins Zeug gelegt haben, um sicherzustellen, dass das Wort „Erweiterung“ nicht in der Erklärung auftaucht.“
Das Thema Erweiterung sei für eine Länder nach wie vor „tabu“. Die in dieser Hinsicht wichtigste Leistung sei allerdings bereits im März erbracht worden, „als die Staats- und Regierungschefs grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien gaben“.
Tatsächlich hatten im März alle EU-Staaten der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen grundsätzlich zugestimmt, wenn auch mit einigen Extra-Auflagen für Albanien. Dies wurde als eine versuchte Kehrtwende und einen Versuch zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit nach Oktober 2019 betrachtet, als Frankreich eine kleine Gruppe von EU-Ländern anführte, die die Aufnahme von Beitrittsgesprächen blockierten.
Indes dürfte Skopje neuer Ärger ins Haus stehen: Kürzlich gab es Anzeichen, dass nun Bulgarien sein Veto gegen Beitrittsgespräche einlegen könnte, weil es aus Sicht der Regierung in Sofia zu wenig Fortschritte bei der Aufarbeitung der gemeinsamen mazedonisch-bulgarischen Geschichte gibt.
Coronavirus wichtiger
Ein EU-Beamter erklärte bei einem gestrigen Presse-Briefing, warum nicht nur das Wort, sondern auch das Thema Erweiterung beim Zagreber Gipfel nicht im Vordergrund stehen wird: „Wir werden nicht über die Erweiterung sprechen; einer der Hauptgründe dafür ist COVID-19.“
Auf die Nachfrage, ob es nicht potenziell negative Auswirkungen haben könne, die Erweiterung ausdrücklich nicht zu erwähnen, sagte der Beamte, für die Region „und jeden Partner bleibt die EU die Nummer eins“, und wies darauf hin, dass China und Russland keine wirkliche Alternative für die Balkanländer anzubieten hätten.
Im Erklärungsentwurf heißt es im Übrigen auch, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Balkanstaaten „bei der Bekämpfung von Desinformation und anderen hybriden Aktivitäten, die insbesondere von Akteuren aus Drittstaaten ausgehen, die versuchen, die europäische Perspektive für die Region zu untergraben“, verstärkt werden sollte.
EU-Dienststellen hatten zuvor berichtet, dass Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie die Sichtweise und Narrative stärken, die Europäische Union kehre dem Westbalkan den Rücken.
In dem Bestreben, die Führungsrolle der EU zu festigen, hat die Kommission im Vorfeld des Gipfels ein 3,3 Milliarden Euro umfassendes Paket vorgelegt, mit dem die Westbalkanstaaten bei der Bewältigung der Coronavirus-Krise unterstützt werden sollen.
Der Großteil der Unterstützung wird in Form von Darlehen erfolgen, hinzu kommen ein Hilfspaket der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 1,7 Milliarden Euro und weitere 750 Millionen Euro, die bereits zuvor als „Makrofinanzhilfen“ zur Verbesserung der makroökonomischen Stabilität der Länder angekündigt worden waren.
Auf dieses Paket folgt dann ein Wirtschafts- und Investitionsplan, der ursprünglich für Mai anvisiert war. Dieser soll nun im Laufe des Jahres tatsächlich kommen, sobald die erste COVID-bedingte Notstandsphase vorüber ist.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic, Georgi Gotev und Tim Steins]