Ihre erste Auslandsreise seit Ausbruch der Corona-Krise geht am heutigen Mittwoch nach Brüssel – ein Zeichen, wie ernst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre zweite und letzte deutsche Ratspräsidentschaft nimmt. Es geht immerhin um ihr Vermächtnis als europäische Gestalterin.
In Brüssel nimmt Angela Merkel heute an einem „Mini-Gipfel“ mit der Führungsriege der EU-Institutionen teil. Im Mittelpunkt des Treffens, an dem neben der Kanzlerin Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats teilnehmen, stehen die Verhandlungen zum EU-Budget (Mehrjähriger Finanzrahmen oder MFR). Davor kam Merkel ins EU-Parlament, und präsentierte die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft.
Sie betonte fünf Bereiche: Grundrechte, Zusammenhalt, Klimaschutz, Digitalisierung und globale Verantwortung. Ähnlich wie bei ihrer Bundestags-Rede sprach sie von den nationalen Maßnahmen zur Einschränkung der Coronavirus-Pandemie als Einschränkung der „elementarsten Grundrechte“, die Entscheidung dazu sei ihr als ehemalige DDR-Bürgerin „unendlich schwer gefallen“.
Erst die Arbeit, dann das Verknüpfen
Doch das reichte nicht, um die Abgeordneten von Merkels Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit während ihrer Ratspräsidentschaft zu überzeugen. Wiederholt verlangten Abgeordnete ein Bekenntnis dazu.
Möglicherweise, weil Merkel vor einigen Tagen durchblicken ließ, dass sie bei den Verhandlungen zu EU-Budget und Hilfsfonds nicht auf eine Verknüpfung von Geldern und Rechtsstaatlichkeit bestehen werde. Bei einer Pressekonferenz vergangene Woche sagte sie: „Damit man Fonds mit Rechtsstaatlichkeit (…) verbinden kann, braucht man erstmal Fonds“. Dacian Cioloș, Leiter der RENEW-Fraktion, bezog sich direkt auf diese Aussage, er sei damit „nicht einverstanden“.
In ihrer Antwort an die Abgeordneten paraphrasierte Merkel sich selbst: Rechtsstaatlichkeit habe absolute Priorität für Berlin, aber man müsse „auch die Basis dafür schaffen, dass wir arbeiten können“. Man werde “Kompromissbereitschaft brauchen”.
Auch bei der Frage nach europäischen Eigenmitteln zur Rückzahlung der Hilfsfonds-Kredite dämpfte Merkel die Erwartungen. Man müsse “Rücksicht nehmen” auf Staaten, die in ihren Budgets bereits Mittel verplant haben, die bei neuen europäischen plötzlich Steuern nach Brüssel fließen würden. Generell warnte sie vor “faktischen falschen Steuererhöhungen” unter dem Deckmantel der Eigenmittel. Eine Digitalsteuer unterstütze sie aber.
Parlament bleibt ambitioniert
Die Verhandlungen über den MFR und den Aufbaufonds dürften sich also nicht nur auf Ebene der Staats- und Regierungschef zäh gestalten. Denn auch Sassoli hatte vor Merkels Rede deutlich gemacht, dass das Parlament den Kommissions-Vorschlag nicht als “Ziel, sondern als Startpunkt” betrachte, “um angemessene Lösungen“ herbeizuführen. Verschiedene Abgeordnete betonten während der Plenumssitzung, dass der im Rat ausgearbeitete Vorschlag keinesfalls hinter dem zurückfallen dürfe, der bereits auf dem Tisch liegt.
Auch der sozialdemokratische Abgeordnete Udo Bullmann sieht den Fonds als “große Chance”, Deutschland könnte der “Motor der Krisenüberwindung” werden, sagte er gegenüber EURACTIV Deutschland. Sorge habe er, ob das Geld dort ankomme, wo es gebraucht wird, hier wünscht er sich noch “klare Antworten” von Merkel und Von der Leyen.
Grüne Fraktion pocht auf Solidarität und Klimaschutz
Eine wichtige Rolle kommt hierbei dem Klimaschutz zu, den Merkel als Priorität der Präsidentschaft hervorhob. Sie sprach sich erneut für eine Treibhausgasreduktion um 50 bis 55 Prozent bis zu 2030 aus. Doch diese Ambitionen geht Greens/EFA-Fraktion nicht weit genug. Fraktionssprecherin Ska Keller brachte heute im Plenum noch einmal die Forderung hervor, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent reduzieren zu wollen. Die Grünen fordern darüber hinaus eine Kopplung der MFR-Gelder an die Einhaltung klimapolitischer Standards.
Keller betonte, dass der Vorschlag der Kommission nur unterstützt werden können, wenn er “ambitioniert” sei. Gleichzeitig dürfe der Aufbauplan den “Schuldenstand mancher Länder nicht in die Höhe treiben”. Ihr Fraktionskollege Sven Giegold forderte gar, dass das „Prinzip solidarisch finanzierter Investitionen […] zum dauerhaften wirtschaftlichen Prinzip Europas“ werden müsse.
Wenn nun Merkel, Sassoli, Michel und Von der Leyen heute Abend zusammenkommen, um erste Verhandlungsgespräche über den MFR zu führen, wird es ausreichend Gesprächsbedarf geben.