US-Außenminister Anthony Blinken ist heute und morgen in Brüssel zu Gast. Sein Besuch wird sehnlichst erwartet: Die europäischen Verbündeten hoffen, die transatlantischen Beziehungen nach dem Abgang von Donald Trump wieder zu verbessern. EURACTIV.com sprach im Vorfeld des Besuchs mit dem Geschäftsträger der US-Mission bei der NATO.
Blinken ist am Dienstag und Mittwoch zu Besuch in Brüssel, um an Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der NATO-Staaten teilzunehmen. Diese finden zum ersten Mal seit November 2019 wieder persönlich und nicht per Videokonferenz statt.
Die Gespräche in Brüssel sollen „die Entschlossenheit der Biden-Administration unterstreichen, das transatlantische Bündnis zu stärken und unsere Beziehungen zu den Verbündeten durch die NATO neu zu beleben,“ so das US-Außenministerium in einer Mitteilung.
Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Zukunft der 9.600 Mann starken Mission der NATO in Afghanistan, nachdem Trump mit den Taliban eine Vereinbarung getroffen hatte, die Truppen bis zum 1. Mai abzuziehen. In Europa wartet man nun mit Spannung auf eine Antwort, ob Biden und die USA an dieser Frist des Amtsvorgängers festhalten. Vermutlich wird es von Blinken heute oder morgen aber noch keine konkrete Ankündigung diesbezüglich geben.
Blinkens To-Do-Liste in Brüssel beinhaltet ein Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Chefdiplomat Josep Borrell im Vorfeld eines Gipfeltreffens am Donnerstag dieser Woche, bei dem die EU-Staats- und Regierungschefs unter anderem die Russland-Strategie der Union und die komplizierten Beziehungen zur Türkei diskutieren wollen.
„Die Botschaft an alle Verbündeten wird sein, dass die USA die NATO sehr schätzen und dass wir versuchen werden, die NATO zunehmend als ein Forum zu nutzen, in dem wir uns beraten und reden, und in dem wir über einen gemeinsamen Weg nach vorne entscheiden,“ betonte Doug Jones, amtierender Geschäftsträger der US-Mission bei der NATO, vor dem Treffen gegenüber EURACTIV.com.
Der US-Beamte vermied dabei Kritik an den europäischen Verbündeten. Auf die Frage, welche Botschaft die USA an die NATO-Länder senden werden, die sich mit den Beziehungen unter der Trump-Administration eher wohl gefühlt haben – darunter Polen, Ungarn und die Türkei – sagte er lediglich, dass die USA „darauf achten werden, sowohl die Art und Weise, in der wir uns hier als Verbündete in der NATO beraten, als auch die Art und Weise, in der wir gemeinsame Maßnahmen ergreifen können, zu verbessern.“
Treffen mit türkischem Außenminister
Bei seinem Besuch in Brüssel wird Blinken auch bilateral mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zusammentreffen. Dies geschieht nach mehreren verbalen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern über diverse Themen, die von regionalen Entwicklungen im Mittelmeer bis hin zu Ankaras Entscheidung reichen, das Istanbul-Abkommen gegen Gewalt an Frauen zu verlassen.
Washington hat des Weiteren wiederholt Besorgnis über den Einkauf von S-400-Raketenabwehrsystemen aus russischer Produktion durch den NATO-Verbündeten sowie dessen Aktionen im östlichen Mittelmeer zum Ausdruck gebracht. Letztere hatten auch zu Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland sowie Zypern geführt.
Auf die Nachfrage von EURACTIV, ob man seitens der NATO nun eine eindeutige Erklärung erwarten könne, in der die türkische Haltung anprangert wird, sagte Jones, Washingtons Position gegenüber der „Türkei als geschätztem Verbündeten“ werde „klar und eindeutig bleiben“.
Er machte deutlich: „Die Präsenz hochentwickelter russischer Großwaffensysteme wie S-400 hat keinen Platz im NATO-Bündnis, und sie verstößt auch gegen die Verpflichtungen, die die Verbündeten untereinander eingegangen sind – nämlich, dass wir uns von der Abhängigkeit von russischen Systemen lösen wollen.“
Russland & China
Bezüglich Deutschland, Russland und der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 sagte Jones, die Gespräche würden fortgesetzt, „um mit diesem Problem umzugehen und, was besonders wichtig ist, die Energiesicherheit für Europa zu gewährleisten“.
Er warnte jedoch vor möglichen Bedrohungen aus Russland: „Wir haben ein zunehmend aggressives und einschüchterndes Verhalten beobachtet.“
Auf die Frage nach Moskaus „Impfstoff-Diplomatie“ und der zunehmenden Bereitschaft einiger europäischer Verbündeter, den Impfstoff Sputnik V einzusetzen, sagte Jones lediglich, es sei „schwer, die Wirksamkeit dieses speziellen Impfstoffs zu kommentieren“.
Washington zeigt sich derweil auch bestrebt, Brüssel in eine „Einheitsfront“ gegen die aufsteigende Macht Pekings einzubinden. „Die USA glauben, dass China eine der größten geopolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist. Die NATO muss sich ebenfalls auf diese neue Ära eines strategischen Konkurrenzkampfes einstellen,“ sagte Jones.
Er fügte hinzu: „Wir können als NATO nach Wegen suchen, wie wir die Resilienz der Verbündeten individuell und auch kollektiv gegen Herausforderungen wie Cyber- und hybride Bedrohungen sowie gegen Bedrohungen für kritische Infrastrukturen erhöhen können.“ Es gebe außerdem „viele andere Möglichkeiten, wie wir die NATO als einen Ort nutzen können, an dem wir uns zunehmend gemeinsam mit den Herausforderungen auseinandersetzen können, die von einem aufstrebenden China ausgehen.“
Ob eine derart koordinierte China-Politik auf der einen Seite und das Vorantreiben des Investitionsabkommens zwischen der EU und China auf der anderen Seite einen Widerspruch darstellen könnte, wollte Jones indes nicht kommentieren.
[Bearbeitet von Georgi Gotev und Tim Steins]