Das Vereinigte Königreich wird ab Januar 2021 Zölle auf Fleisch und Autos aus der EU erheben, wenn bis Ende 2020 kein Handelsabkommen mit der Union abgeschlossen wird. Das bestätigte die Regierung von Boris Johnson am Dienstag.
Die Regierung in Westminster kündigte ihren UK Global Tariff an, der den Gemeinsamen Zolltarif der EU ersetzen wird, wenn die Übergangsperiode nach dem Brexit am 31. Dezember 2020 endet. Diese Zollregelung soll für alle Länder gelten, mit denen das Vereinigte Königreich kein separates Handelsabkommen vereinbart hat.
Zwar würden mit der neuen Regelung die Zölle auf Importe im Gesamtwert von 30 Milliarden Pfund, die in die Lieferketten des Vereinigten Königreichs gelangen, abgeschafft; die britischen Automobil-, Landwirtschafts- und Keramikindustrien sollen jedoch geschützt werden.
Laut den aktuellen Plänen könnten auf Autos Importabgaben in Höhe von zehn Prozent erhoben werden.
Die für internationalen Handel zuständige Ministerin Liz Truss sagte dazu, die neue Regelung werde „den britischen Verbrauchern und Haushalten zugute kommen, indem Bürokratie abgebaut und die Kosten für Tausende von Alltagsprodukten gesenkt werden.“
Tatsächlich könnten aber insbesondere die Zölle auf importierte Autos sowie auf Lamm-, Geflügel- und Rindfleisch zu einem erheblichen Anstieg der Preise führen. Die Lobbygruppe Food and Drink Federation warnte daher bereits, die Zollregelungen könnten „ernsthaften Schaden“ verursachen.
Gespräche mit der EU, Japan und den USA
Der neue Global Tariff sieht vor, dass ungefähr 60 Prozent der gehandelten Güter zu den Konditionen der Welthandelsorganisation oder über den bestehenden „präferenziellen Zugang“ nach wie vor zollfrei in das Vereinigte Königreich gelangen können. Aktuell ist dies im Rahmen der EU-Binnenmarktregelungen bei 87 Prozent der Importe der Fall.
Inzwischen hat London auch Verhandlungen über mögliche Handelsabkommen mit den wichtigen Partnern USA und Japan aufgenommen. Allerdings dürfte in beiden Fällen wohl kein Deal vor Ende 2020 zustande kommen.
Die Gespräche mit dem Team von EU-Chefunterhändler Michel Barnier über ein neues Handels- sowie politisches Abkommen stocken derweil weiter. Umstritten sind vor allem die Themen Fischerei, Regierungsführung und Zuständigkeiten sowie die von der EU geforderten „gleichen Wettbewerbsbedingungen“ bei Regulierungsstandards.
In diesem Zusammenhang kann die Ankündigung des neuen britischen Zollsystems durchaus als Warnung an die EU gelesen werden.
Kabinettminister Michael Gove sagte den britischen Parlamentsabgeordneten am gestrigen Dienstag, der Erfolg der Verhandlungen mit Brüssel hänge davon ab, „dass die EU anerkennt, dass das Vereinigte Königreich ein souveräner Staat ist“. Er beschwerte sich weiter, dass „die EU im Wesentlichen will, dass wir die Regeln ihres Clubs befolgen, auch wenn wir nicht mehr Mitglied sind“.
Außerdem wiederholte er die vorherige Kritik des britischen Verhandlungsführers David Frost: „Es ist nach wie vor schwierig, eine für beide Seiten vorteilhafte Einigung zu erzielen, solange die EU an einem derart ideologischen Ansatz festhält.“
Eigener Vorschlag und wenig Zeit
Gestern veröffentlichte die britische Regierung dann auch den lange angekündigten vollständigen Entwurf der Gesetzestexte, die sie der Europäischen Kommission vorgelegt hatte. Damit sollen die nationalen Führungen der 27 verbleibenden EU-Staaten beeinflusst und bestenfalls dazu veranlasst werden, Barniers Team zur Senkung der Brüsseler Forderungen zu bewegen.
Nun ist nur noch eine einzige Gesprächsrunde Anfang Juni vorgesehen, bevor am 15. Juni ein hochrangiges Treffen zwischen Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ansteht. Danach werden die beiden mitteilen, ob ihrer Ansicht nach noch in diesem Jahr eine Einigung erzielt werden kann.
Falls nicht, könnte aus Brüsseler Sicht eine Verlängerung der Übergangsphase in Erwägung gezogen werden. London hat diese Möglichkeit bisher allerdings strikt abgelehnt.
[Bearbeitet von Tim Steins]