Die britische Regierung wird wohl ihre Ausgaben für die internationale Entwicklungszusammenarbeit kürzen. Schatzkanzler Rishi Sunak stellt am heutigen Mittwoch die geplante Ausgabenbilanz vor.
Die Regierung von Boris Johnson bereitet neue Gesetze vor, die die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit im kommenden Jahr auf lediglich 0,5 Prozent des Nationaleinkommens senken werden. Aktuell liegt das rechtlich verbindliche Ziel bei 0,7 Prozent.
Nicht klar ist derweil, ob es sich dabei um eine kurzfristige Maßnahme angesichts der coronavirusbedingten Krise handelt oder ob das Budget dauerhaft gekürzt wird.
Die Ausgaben für Entwicklungshilfe im Jahr 2020 waren aufgrund der durch das Coronavirus verursachten Rezession zuvor bereits um 2,9 Milliarden Pfund (von vormals 15,8 Milliarden) nach unten revidiert worden.
Zwar ist die Einhaltung des 0,7-Prozent-Ziels für die Ausgaben im britischen Recht fest verankert – eine Maßnahme der Regierung von David Cameron – das Ziel kann jedoch verfehlt werden, wenn sich das Nationaleinkommen des Landes „wesentlich“ verändert.
Cameron selbst warnte vergangene Woche, dass die Streichung des 0,7-Prozent-Ziels ein „moralischer, strategischer und politischer Fehler“ sei.
300 Millionen Pfund Defizit
Es wird erwartet, dass die britische Regierung im Jahr 2020 ein Haushaltsdefizit von 300 Milliarden Pfund ausweisen wird, was auf massive Soforthilfeprogramme zur Unterstützung von Unternehmen und Arbeitnehmenden zurückzuführen ist, die durch die Lockdowns Einkommensverluste erlitten haben.
Die Schuldenlast des Vereinigten Königreichs liegt heute bei 100,8 Prozent, dem höchsten Stand seit über 50 Jahren.
In diesem Zusammenhang und angesichts der Tatsache, dass die zuständigen Ministerien wegen der Anfälligkeit der Wirtschaft nicht gewillt sind, die Steuern zu erhöhen, wird die Entwicklungshilfe offenbar als hinnehmbares Opfer angesehen.
Im Gegensatz dazu kündigte Johnson in der vergangenen Woche zudem eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 18 Milliarden Pfund für die kommenden vier Jahre an. Eine Senkung der Entwicklungshilfeausgaben auf 0,5 Prozent des Nationaleinkommens würde rund vier Milliarden Pfund pro Jahr einsparen.
Großer Geldgeber
Das Vereinigte Königreich ist derzeit einer der größten Hilfsgeber in Europa und gehört zu den wenigen europäischen Ländern, die das von den Vereinten Nationen festgelegte 0,7-Prozent-Ziel erreichen.
Es gibt jedoch schon länger weitere Anzeichen dafür, dass die Entwicklungspolitik auf der Prioritätenliste der Regierung Johnson weit unten steht und der Großteil der regierenden Konservativen Partei eher daran interessiert ist, Hilfsgelder für innenpolitische Prioritäten abzuzweigen.
So schaffte Johnson das Ministerium für internationale Entwicklung ab und schloss es mit dem britischen Außenministerium zusammen. Vor der Zwangsfusion hatte das DFID (Department for International Development) bereits einige Entscheidungen zu Unterstützungszahlungen ausgesetzt und war angewiesen worden, stattdessen „lebensrettende Hilfe“ und die Coronavirus-Pandemie zu priorisieren.
Für die Regierung Johnson scheint indes eine Weiterführung der EU-Handelsabkommen mit Entwicklungsländern oberste Priorität in der internationalen Zusammenarbeit zu haben.
Entwicklungsgelder dürften grundsätzlich schrumpfen
Während sich die G20 darauf geeinigt haben, die Schuldenzahlungen für 73 der ärmsten Länder der Welt bis Juni 2021 auszusetzen, und sich auf ein Umschuldungsprogramm zubewegen, dürfte die Entwicklungshilfe der Industriestaaten in den kommenden Jahren wohl stark gekürzt werden.
Die EU-Länder sehen sich beispielsweise mit einem durchschnittlichen BIP-Rückgang von acht Prozent im Jahr 2020 konfrontiert – was wiederum unweigerlich zu geringeren Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit sowie zu Spar-Druck führen wird.
Die Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe der in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE) haben daher bereits angekündigt und versprochen, dass sie sich „bemühen werden, die Entwicklungshilfebudgets zu schützen“.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]